Wer träumte nicht schon einmal davon, auf den Spuren von Heinz Sielmann und Professor Bernhard Grzimek zu wandeln? Besonders lieb war den beiden das grüne Herz Afrikas – das Okavango-Delta, welches durch seine Artenvielfalt das Herz jedes Tierforschers höherschlagen lässt.

Es ist noch stockdunkel draussen, als der Wecker klingelt. 15 Minuten später, um fünf Uhr, steht Sam vor unserem Zelt und bringt zur Zubereitung des «early morning tea» heisses Wasser. Eine weitere halbe Stunde später geht es bereits im frühen Sonnenlicht hinaus in den Busch zur ersten Wildbeobachtung an diesem Tag. Eine Safari ist wahrlich nichts für Langschläfer, aber die Abenteuerlust lockt auch die grösste Schlafmütze aus dem Bett hervor. Frühmorgens lassen sich Fährten am besten lesen und so die Verfolgung von Wildtieren aufnehmen.

Sanfte Dickhäuter
Da es im südafrikanischen Winter in diesen frühen Morgenstunden noch empfindlich kühl sein kann, sind die meisten mit einem Pullover und einer langen Hose bekleidet. Noch ein wenig müde und leicht fröstelnd geht es mit unserem Guide und zwei weiteren Gästen aus dem Camp – einem älteren englischen Ehepaar – los. Wir sind gespannt, was uns dieser Game-Drive bescheren wird. Kein Tag verläuft wie der andere. Die Natur und ihre Bewohner sind unberechenbar.

Doch wir haben Glück: Schon nach kurzer Zeit treffen wir auf eine kleine Herde Elefanten, die gerade beim Frühstück ist und sich genüsslich die grünen Triebe einiger Büsche einverleibt. Sie fühlen sich durch uns nicht im Geringsten gestört, nur eine Elefantenmutter stellt sich schützend zwischen uns und ihr Kalb. Sam erklärt uns, dass Botswana eine der grössten Populationen von Elefanten hat. Über 120.000 Dickhäuter streifen in grossen Herden umher. Während in vielen afrikanischen Ländern die Jagd auf Elefanten gestattet ist, ist sie in Botswana bereits seit einigen Jahren verboten. «Unsere Regierung hat erkannt, dass naturverträglicher Safari-Tourismus einträglicher ist und um ein Vielfaches mehr Arbeitsplätze schafft als die Jagd», erklärt er uns. «Leider können wir nicht verhindern, dass auch in unser Land immer wieder Wilderer eindringen und Tiere erlegen – besonders an der Grenze zu Sambia und Zimbabwe oder in Gebieten, in denen weniger patrouilliert wird.» Ja, noch immer ist der Elfenbeinhandel eine Milliarden-Dollar-Industrie, obwohl der kommerzielle Handel bereits seit 1989 verboten ist.

Die meisten Elefanten zeigen sich recht friedlich. Nur ganz selten kommt es zu Konflikten mit halbstarken Jungbullen – meistens bleibt es jedoch bei harmlosen «Posen». Auf einer Safari lernt man nach und nach auch die Körpersprache der Tiere zu deuten: Aufgestellte Ohren bei Elefanten sind beispielsweise eine Drohgebärde. Besonders zur Grenze nach Zimbabwe verhalten sich die Elefanten anders als zum Beispiel weiter westlich. Sie scheinen schreckhafter und zugleich angriffslustiger zu sein. Unser Guide erklärt uns, dass dies daran liegt, dass es in diesem Gebiet noch Wilderer gibt und die Elefanten Menschen daher als Gefahr ansehen. Dabei spielen gerade Elefanten im Flussdelta eine sehr wichtige Rolle. Sie sorgen für die Ausbreitung von Pflanzensamen über ein Gebiet von mehreren hundert Kilometern und fördern so die Artenvielfalt der Flora. Zudem bahnen sie Wege durchs Dickicht. Auch wir können uns kaum sattsehen an den scheinbar sanften Riesen und sehen zu, wie liebevoll die grauen Dickhäuter mit ihren jungen Kälbern umgehen. Wie ein ganzes Heer an Tanten auf ein noch ganz keines Tier achtgeben und wie geschickt sie ihren Rüssel zum Essen, als Dusche oder zur Begrüssung einsetzen.

Ein Paradies für Wildhunde
Sams Lieblingstiere sind jedoch Hyänen und Wildhunde. Im Moremi Game Reserve steht eine der grössten Populationen der letzten Wildhunde unter Schutz. Forscher und Biologen aus der ganzen Welt kommen hierher, um diese Tiere zu beobachten, zu untersuchen und mit GPS auszustatten, um ihr Verhalten besser studieren zu können. Denn während in anderen Gebieten die Wildhund-Population immer mehr zurückgeht, erfreuen sich die Wildhunde des Moremi Game Reserve bester Gesundheit und gesunden Zuwachses. Während unseres Aufenthalts haben wir das grosse Glück, ein Forscherteam begleiten zu dürfen. Selbst unser Guide ist ganz aufgeregt, denn obwohl er fast täglich die Chance hat, diese faszinierenden Geschöpfe zu beobachten, soll es auch für ihn das erste Mal sein, ein narkotisiertes Tier anzufassen. Die sehr sozialen Wildhunde leben in kleinen Rudeln und «sorgen» füreinander. Verwundete und kranke Rudelmitglieder werden durch das ganze Rudel versorgt. Zudem sind sie sehr effiziente Jäger, die Erfolgsrate der Jagden liegt bei fast 90 Prozent. Doch gerade das starke Sozialgefüge macht es den Forschern schwer, ein Tier zu separieren, um es zu betäuben, zu untersuchen und mit einem Chip auszustatten. Gespannt verfolgen wir dabei das Verhalten der übrigen Rudelmitglieder, die ihren Artgenossen keine Minute aus den Augen lassen. Erst als alle wieder in ihren Geländewagen sitzen, lässt die Anspannung sowohl bei den Tieren als auch bei den Menschen nach. Und nachdem wir uns mit den Fahrzeugen wenige Meter entfernen, scharrt sich das Rudel sofort um sein noch leicht benebeltes Mitglied.

Einer der Forscher erklärt uns währenddessen, dass Wildhunde wahre Ausdauersportler seien. Besonders beim Beutefang jagen sie mit abwechselnder Spitze ihr Opfer so lange, bis es erschöpft ist, und greifen es dann von allen Seiten an. Auch Hyänen jagen gemeinsam. Dabei kommunizieren sie mit einem grossen Vokabular an Lauten – von Grummeln bis Lachen. Dies, gepaart mit ihrem seltsamen Körperbau, verleiht ihnen ein linkisches Image und manövriert sie auf die Liste der «Ugly Five» – zu denen noch das Warzenschwein, der Marabu, das Gnu und der Geier gehören. Aber Hyänen sind echte Anpassungskünstler. Sie passen sich nicht nur an die unterschiedlichsten Lebensräume und Tageszeiten an, auch bei ihrer Beute sind sie sehr flexibel, und einem schnell stibitzten Happen sind sie nie abgeneigt.

Wer frisst wen?
Das Okavango-Delta bietet vielen fleischfressenden Raubtieren Lebensraum und eignet sich daher hervorragend, um die Interaktion zwischen den Grossraubtieren zu studieren. Da diese von den gleichen Ressourcen leben, besteht keine Sympathie anderen Arten gegenüber, sondern Konkurrenzverhalten. Und treffen fleischfressende Tiere aufeinander, herrscht Feindschaft. Das grösste Raubtier Afrikas, der Löwe, thront weitgehend unangefochten in der Hierarchie ganz oben. Er kann so ziemlich alles und jeden umbringen, der ihm in die Quere kommt, einschliesslich anderer Raubtiere. Ausgewachsene Löwen haben als natürliche Feinde lediglich Artgenossen, wenngleich unser Guide zu erzählen weiss, dass grosse Rudel Hyänen gelegentlich einen ausgewachsenen Löwen verletzen können.

Hyänen suchen die Nähe von Raubkatzen, da sie auf eine Mahlzeit ohne grossen Aufwand hoffen. So lassen sich im Moremi häufig Hyänen ausmachen, die afrikanischen Wildhunden bei der Jagd folgen. Entscheidend über Sieg und Niederlage ist immer die Anzahl der Tiere: Ein paar Hyänen können schnell ein ganzes Rudel Wildhunde dominieren, während eine einzelne Hyäne meist zum Rückzug gezwungen ist. Grosse Rudel Hyänen wie auch Wildhunde sind wiederum den Leoparden überlegen, wobei Einzeltiere ein grosses Risiko eingehen, denn die kräftigen und schnellen Leoparden reissen durchaus gelegentlich eine einsame Hyäne oder einen Wildhund. Ganz unten in der Hierarchie steht jedoch das schnellste Raubtier der Welt, der Gepard. Anstelle brutaler Kraft setzt er unglaubliche Schnelligkeit ein. Doch der Gepard ist nicht in der Lage, andere Raubtiere zu überwältigen. So lassen sie anderen Grossraubtieren stets den Vortritt, egal in welcher Anzahl sie auftreten. Es ist äusserst spannend, das Verhalten der Raubtiere zu beobachten, wenn sie aufeinandertreffen oder auch einfach untereinander kommunizieren. Das ausgeklügelte Jagdverhalten und starke Sozialgefüge lässt uns mehr als einmal staunen. Doch während einige Safari-Teilnehmer abends am Lagerfeuer stolz von ihren Beobachtungen eines «Kills» erzählen, sind wir heimlich froh, dass wir keinen hautnah miterlebt haben.

Safari-Rhythmus
Bereits nach kurzer Zeit sind wir im Safari-Rhythmus angekommen. Früh raus, früh ins Bett. Das Tagesprogramm ist in jeder Lodge ähnlich. Zweimal täglich geht es zum Game-Drive hinaus in die Wildnis. Auf Du und Du mit Afrikas Tierwelt. Unter der Leitung unseres fachkundigen Guides lernen wir nicht nur die verschiedenen Tierarten des Okavango-Deltas kennen, sondern auch Fährten lesen, Pflanzen zu nutzen und Witterungen aufzunehmen. Wer im offenen Geländewagen unterwegs ist, lernt nach kürzester Zeit, seine Sinne auf ganz neue Weise zu schärfen, Gerüche zu deuten und Tierlaute zu verstehen. Hier schreit eine Herde Baboons – ein Angreifer muss in der Nähe sein, dort kreisen die Geier – ein Raubtier wird ein Zebra gerissen haben, es riecht streng und beissend – vor Kurzem haben Hyänen ihr Revier markiert. Dabei legt Sam ein schier unerschöpfliches Wissen in allen Bereichen der Natur an den Tag. Er zeigt uns Pflanzen, mit denen man sich die Hände waschen kann, Lilien, deren Wurzeln essbar sind, wie man Termiten fängt und röstet, welche Fährte von welchem Raubtier stammt oder woran man erkennt, ob ein Nilpferd gut aufgelegt ist oder man lieber sehr grossen Abstand halten sollte. Und zu allem hat er eine Geschichte parat. So viel wie auf diesen Streifzügen durch die Wildnis Botswanas habe ich wahrscheinlich in meiner ganzen Schulzeit inklusive Biologie-Leistungskurs nicht gelernt.

Ein guter Guide schafft es, selbst Tage, an denen sich kaum ein Tier blicken lässt, zu einem einzigartigen Erlebnis zu machen. An einem Nachmittag starren wir stundenlang angestrengt ins Gebüsch, um durchgeschüttelt von der Fahrt über holprige Pisten gerade mal einen Blick auf eine kleine Gruppe Impalas zu erhaschen. Doch Sam lenkt unsere Aufmerksamkeit geschickt auf die Vielzahl von Vögeln, die im Delta leben, und lässt selbst uns Nicht-Vogelfans in kürzester Zeit zu Liebhabern des Federviehs werden. Schlangenhalsvögel, Reiher, Kingfisher, Nashornvögel, Ägyptische Gänse, Geier, Afrikanische Fischadler, ein Hammerkopf und jede Menge Perlhühner kreuzen unseren Weg. Ein besonders interessanter Geselle ist der Sekretär. Ein langbeiniger Greifvogel mit einer auffälligen Federhaube auf dem Kopf. Anders als die meisten anderen Greifvögel verbringt er einen Großteil seiner Zeit am Boden, wo er würdevollen Schrittes umherstolziert. Auch seine Nahrung, die aus Schlangen, Reptilien, Amphibien, kleinen Säugetieren und Insekten besteht, erbeutet er bei der Jagd am Boden. Mit lautem Flügelschlag treibt er sein Opfer im Zickzacklauf durchs Gelände, dabei versucht er mit schnellen, kraftvollen Fusstritten seine Beute zu überwältigen.

Auch mit dem Beobachten von Webervögeln verbringen wir einige Zeit, nachdem uns Sam erklärt, dass die Weibchen dieser Art recht verwöhnte Zicken seien. Die Männchen «weben» ihre Nester aus Zweigen und Hal­men, die kunstvoll mit Schnabel und Kral­len ver­schlun­gen wer­den. Das Weib­chen ak­zep­tiert das Männ­chen nur, wenn es ein per­fek­tes Nest vor­wei­sen kann. Ge­brauch­te oder zu klei­ne Nes­ter wer­den nicht to­le­riert. Deshalb bau­en die Männchen manch­mal meh­re­re Nes­ter zur Aus­wahl in der Hoff­nung, dass wenigstens eins da­von von den Weib­chen an­ge­nom­men wird. Der Baum, vor dem wir halten, gleicht daher ei­nem Weih­nachts­baum mit ku­gel­för­mi­gen Nes­tern an je­dem Ast.

Das Leben im Delta
Gegen zehn Uhr geht es zurück zum Camp. Es wartet ein reichhaltiges Frühstück oder ein Lunch, um sich danach zur Siesta zurückzuziehen oder im Pool ein erfrischendes Bad zu nehmen. Mittags dann scheint die Welt stillzustehen und innezuhalten. Die Safari-Teilnehmer machen ein kleines Nickerchen oder lesen auf den Veranden vor ihren Zelten. Man könnte ewig in die weite Landschaft starren, auch wenn sich nichts tut. Vereinzelt zirpen ein paar Grillen, aber sonst lässt sich kein Tier blicken. In der Tageshitze ruhen die meisten Tiere im Schatten der Bäume und im kühleren Dickicht. Nach einer kleinen Stärkung bei Kaffee und Kuchen geht es meist um 16 Uhr, wenn die sengende Mittagshitze langsam nachlässt, los zum zweiten Ausflug des Tages.

Die Tiere haben sich längst an die Geländewagen gewöhnt. Für sie ist das Fahrzeug ein fahrendes Etwas, das ein wenig merkwürdig riecht, aber von dem weder Gefahr ausgeht, noch auf ihrem Speiseplan steht. Und so können wir beruhigt den fantastischen Naturschauspielen beiwohnen, die das Okavango-Deta für uns bereithält. Hier eine riesige Büffelherde, dort sich im Wasserloch suhlende Warzenschweine, unter den Bäumen schlummert eine Löwenfamilie und in der Ferne kreisen Geier über einem Tierkadaver. Über 160 Säugetierarten leben in diesem weltweit einzigartigen Ökosystem. Wer im Delta lebt, muss sich dem Wasser anpassen. Jedes Tier von der Giraffe bis zum Löwen muss lernen, sich damit zu arrangieren, auch der Mensch, die Guides und die Lodge-Betreiber. Bereits durch eine minimale Verschiebung der Erdplatten kann von einem Jahr aufs andere eine ganz andere Landschaft entstehen. An Orten, wo seit Jahrzehnten kein Wasser mehr floss, entsteht plötzlich ein kleines Hippo-Plansch-Paradies. Flusspferde baden scheinbar vergnügt in den neu entstandenen Seen. Trotz ihres gemütlichen Aussehens sollte man jedoch einen grossen Bogen um die als äusserst angriffslustig geltenden Tiere machen. Wirken sie auch behäbig, können die Kolosse trotzdem sehr gefährlich werden. Bis zu 100 Menschen kommen jährlich bei Nilpferdangriffen ums Leben. Doch Sam weiss, wie weit er sich mit uns an die Tiere heranwagen kann, und so geniessen wir unseren Sundowner in gebührendem Abstand zu den Tieren, doch inmitten einer gigantischen Landschaft, die von der untergehenden Sonne in ein tiefes Rot getaucht wird.

Das Delta-Music-Orchestra
Zurück im Camp steht bereits das Abendessen bereit, und am Lagerfeuer kommt man schnell mit anderen Gästen ins Gespräch. Ein jeder ist überwältigt von den Ereignissen des Tages, ein jeder hat sein ganz eigenes Abenteuer erlebt. Während die eine Gruppe einen Leoparden gesichtet hat, hat der ältere australische Herr eine Löwenfamilie mit drei Jungen beobachtet, und das Honeymoon-Paar aus Frankreich ist immer noch entzückt über die riesige Elefantenherde, welche nur eine Armlänge an ihnen vorbeizog. Zufrieden und müde geht es früh ins Bett, begleitet vom Klang der Wildnis: dem sanften Zirpen der Grillen, dem Rufen der winzigen Glockenfrösche, das an ein tausendfach gespieltes Glockenspiel erinnert, und dem schnaufenden Gebrüll eines einsamen Nilpferdes. Mit der Ouvertüre des Okavango-Deltas fallen wir schnell in einen tiefen Schlaf.

Okay, zugegeben: Die erste Nacht im Camp war uns auch ein wenig mulmig zumute. Wie viel Schutz bietet ein solches Zelt? Was macht man, wenn nachts Tiere um das Zelt streifen? Wäre es für ein Raubtier nicht eine Kleinigkeit, ins Innere zu gelangen? Ich war nicht die Einzige, die die erste Nacht etwas unruhig verbrachte. Jedes ungewohnte Geräusch liess mich hochschrecken, und mehr als einmal habe ich mich vergewissert, dass das Nothorn, welches in jeder Unterkunft vorhanden ist, auch wirklich in Griffnähe stand. Doch spätestens beim Zusammentreffen mit den anderen Camp-Bewohnern am nächsten Morgen waren sich alle einig: Es ist ein faszinierendes Erlebnis, abseits jeglicher Zivilisation – weit entfernt vom letzten Mobilfunknetz oder von einer Strasse – die ungefilterten Geräusche der Wildnis zu hören. Und schon in den darauffolgenden Nächten wollten wir die Musik der Wildnis nie mehr missen.

Der Garten Eden
Botswana ist für europäische Verhältnisse wahrlich ein Gigant – weniger als zwei Millionen Einwohner auf der Grösse Frankreichs lassen unendlich viel Raum für eine unberührte Tier- und Pflanzenwelt. Kaum ein zweites Land weltweit hat so viel Fläche unter Schutz gestellt wie Botswana. Staatliche und private Reservate machen fast ein Drittel des Landes aus. Botswana ist ein Garten Eden voller Zauber inmitten der Kalahari. Das Okavango-Delta ist ein grossartiges Refugium für viele Wildtiere. Mit einer Fläche von 15.846 Quadratkilometern ist es das grösste Binnengewässer der Welt. 95 Prozent aller Wasserreserven Botswanas liegen im Okavango-Delta, durch das jährlich mehr als 18,5 Milliarden Kubikmeter kostbares Nass fliessen, um anschliessend in den unendlichen Weiten der Kalahari zu versickern. Tatsächlich verschwinden aber nur zwei Prozent der Gesamt-Wassermenge im «Durstland», mehr als 90 Prozent verdunstet unterwegs. Der aus dem Hochland Angolas zufliessende Okavango-Fluss stellt eine einzigartige Verbindung zwischen Sandsavanne und Kalahari dar. Tektonische Verwerfungen haben für eine kuriose geografische Situation und das Entstehen eines Wasser-Wunderlandes im Herzen Afrikas gesorgt. Der Okavango wird oft als «Strom, der nie zum Meer findet» beschrieben, und tatsächlich verschwindet er in einem Labyrinth von Lagunen, Kanälen und Inseln und speist das Okavango-Delta – die grüne Oase Botswanas.

Jedes Jahr, vier Monate nach der Regenzeit in Angola, überschwemmt der Okavango sein Delta, das dann langsam wieder austrocknet. So gibt es neben dauerhaft überfluteten Gebieten auch solche, die nur von Juni bis September unter Wasser stehen. In Botswana bilden Land und Wasser eine einmalige Symbiose. Und es trifft sich alles, was in Afrikas Wildnis Rang und Namen hat. Ein Paradies für Tierfreunde. Vor allem in der Trockenzeit sind so viele Tiere in freier Wildbahn unterwegs, dass einem fast schwindelig wird. Die Flora und Fauna im Okavango-Delta ist artenreich und vielfältig. Das Wasser lockt zahlreiche Tiere der Kalahari an, doch bieten Sumpfgebiete viele Verstecke, sodass die Tiere nicht immer leicht auszumachen sind. Nach einigen Game-Drives wird unser Auge jedoch immer geübter und wir erspähen Wildtiere auch auf weite Distanz. Die ersten Tage fällt man zwar noch auf «TLAs» – «Tree like animal» – herein, viele Baumstämme sehen aus wie Tiere, doch das legt sich nach einiger Zeit. In den nächsten Tagen erfahren wir, wie unsere Augen sich an die neue Umgebung gewöhnen, wie unser Blick weiter wird, aber auch schärfer. Unsere computermüde Optik erholt sich von Tag zu Tag. Schnell lernt das Auge, die erdigen Farbtöne zu unterscheiden. Und so entdecken wir Löwen, Antilopen und Schakale. Selbst ein gut versteckter Leopard hoch oben in einem Baum ist vor unserem Späherblick nicht mehr sicher.

Auf Schusters Rappen
Den letzten Tag machen wir uns mit Sam und einem weiteren Guide zu Fuss auf. Ein bisschen mulmig ist uns schon zumute, hatten wir doch in den letzten Tagen häufiger gehört, dass wir nur im Auto absolut sicher seien und selbst das Aufstehen im offenen Wagen bereits Gefahren bergen könne. Und nun sollen wir wirklich wie die ersten Entdecker Afrikas die Wildnis Botswanas per pedes erkunden?

Möglichst leise gehen wir hintereinander her. Jedes Knacken eines Astes lässt das Blut in unseren Adern gefrieren – denn was hat Sam uns eingeflösst: «Ihr solltet keine Geräusche machen. Geht langsam und lautlos. Wenn möglich nicht sprechen und immer auf mein Kommando hören.» Vor Aufregung vergessen wir fast zu atmen. Und obwohl es heute gar nicht so heiss ist, schwitzen wir deutlich mehr als sonst. «Können die Tiere unseren Angstschweiss riechen?» schiesst es mir plötzlich durch den Kopf? Überhaupt können viele Tiere viel besser riechen als sehen – Nashörner zum Beispiel. Vor meinem inneren Auge sehe ich es schon Witterung aufnehmen. Doch Sam geht unbeirrt vorweg. Hebt er seine Hand, bleiben wir stehen, duckt er sich, gehen auch wir in die Knie. Etwa 20 Meter von uns entfernt grast eine Elefantenherde. Der Wind steht nicht besonders günstig, deshalb ziehen wir in einem grossen Bogen an ihr vorbei.

Dabei stossen wir auf einige Warzenschweine, die mit erhobenen Schwänzchen vor uns davonflitzen, sowie auf einige Zebras, die sich nicht weiter für uns interessieren. Nach circa einer Stunde pumpt das Herz dann noch einmal schneller. In einiger Entfernung liegt eine Löwenfamilie im Schatten einiger Bäume. Zwar scheinen sie tief und fest zu schlafen, doch Sam zeigt uns an, dass wir uns langsam hinter den nächsten Busch zurückziehen sollen. Langsam, immer langsam, denn eine der wichtigsten Regeln lautet: niemals einfach davonlaufen, sondern wenn nötig ruhig den Rückzug antreten. Sam fasst es lapidar so zusammen: «Vergesst es! Ihr seid einfach zu langsam. Jedes Wildtier, ob Nilpferd, Nashorn, Elefant oder Büffel, läuft schneller als ein Mensch, und Raubkatzen sowieso. Davonrennen löst bei vielen Tieren den Jagdinstinkt aus und kann verheerende Folgen haben.» Daher gegebenenfalls hinter einem Baum oder Busch Schutz suchen. Die entscheidende Strategie ist, den Gefahren aus dem Weg zu gehen.

Zwar kommt man aus Sicherheitsgründen bei einer Walking Tour niemals so nah an die Tiere heran wie mit einem Fahrzeug, aber dennoch kommt uns jede Tiersichtung deutlich intensiver vor. Man hört das Schnauben der Zebras, das Kreischen der Baboons und das Flattern der Vögel. Alle Sinne sind alarmiert, auch Gerüche werden viel direkter wahrgenommen. Und selbst die Mistkäfer werden zu einer kleinen Sensation. Bei einer Walking Safari kommen die Gedanken zur Ruhe und gleichzeitig erwachen alle Sinne, tauchen tief in die faszinierende Natur ein. Im Bewusstsein, dass Leopard und Nashorn überall sein können, kribbelt ein grosses Abenteuergefühl im Körper. Giraffen gehörten bei unserem Ausflug übrigens zu den neugierigsten Tieren. Sie näherten sich bis auf wenige Meter, als wollten sie herausfinden, welch seltsame Gesellen sich da im Busch aufhalten.

Natur hautnah und pure Glücksmomente
Wir hatten Glück, dass Sam mit uns eine Walking Safari machen konnte, denn im Okavango-Delta werden geführte Buschwanderungen erst angeboten, sobald das hohe Gras verschwunden ist. Sicherheit ist stets das höchste Gebot. Und es darf auch nicht verschwiegen werden, dass es niemals ganz ungefährlich ist, zu Fuss im Busch unterwegs zu sein. Für Naturverbundene, die mit Respekt und gesundem Menschenverstand ein Abenteuer suchen, wird eine Walking Safari ein unvergessliches Erlebnis sein. Aber auch wenn ein Problem im Busch unwahrscheinlich ist, es ist nicht unmöglich. Elefantenkühe mit Jungen oder testosterongesteuerte Bullen sind häufig unberechenbar. Walking Safaris lassen uns Menschen erkennen, was wir auf der Erde wirklich sind: ein kleiner Grashalm in der weiten Landschaft Afrikas, der jederzeit zertrampelt werden könnte. Mit den Beinen auf der Erde muss man sich mit dem Busch arrangieren, Signale deuten, Geräusche interpretieren, Bewegungen der Tiere analysieren und nötigenfalls auch klein beigeben und einen Rückzieher machen. Auf einer Walking Safari fühlt sich der Mensch plötzlich klein, unbedeutend und schutzlos. Ein Gefühl, das wir vielleicht viel zu selten haben, welches aber eine reinigende Wirkung hat.

Die Tiere Afrikas hautnah ohne Zäune zu erleben, das ist einfach ein Once-in-a-Lifetime-Abenteuer. Viele Menschen würden diese Erfahrung gerne einmal machen, doch Botswana reguliert den Tourismus im Gegensatz zu anderen afrikanischen Ländern zugunsten der Natur. Es gibt im Okavango-Delta einige wunderschöne Lodges und Camps, die maximal 20 Gäste aufnehmen können, meist sind es sogar noch weniger. Die Devise «Low Volume and high Costs» («wenige Besucher, hohe Preise») bedeutet mehr Nutzen für das Land, weniger Schaden für die Natur. Der Massentourismus würde die Schönheit des Landes in kürzester Zeit zerstören und die Tierwelt gefährden. Umso dankbarer sind wir für dieses absolut atemberaubende Erlebnis im Herzen Afrikas.