Bildung ist ein Menschenrecht, jedoch gehen 264 Millionen Kinder weltweit nicht zur Schule. Dabei lernen Kinder in der Schule sehr viel mehr als rechnen und schreiben: Sie lernen, die Welt zu begreifen und sich in ihr zurechtzufinden. Sie lernen, ihre Interessen mit Argumenten durchzusetzen. Wir sprachen mit Thomas Denzler, Gründer und Präsident von «kidz planet», über Bildung als den wichtigsten Schlüssel für den Weg aus der Armut.

Herr Denzler, was verbirgt sich hinter dem Projekt kidz planet?
kidz planet ist eine kleine, privat initiierte Schweizer Hilfswerkorganisation. Die vier Gründungsmitglieder Thomas Denzler, Brigitte Notter, Daniel Stucker und Martin Nydegger sind privat befreundet und haben 2010 entschieden, gemeinsam etwas Gutes zu tun. Aus einem Ozean an Möglichkeiten wurden 3 Kernelemente beschlossen: Ein eigenes Projekt zu Gunsten von Kindern im Bereich Bildung.

 Wie viele Kinder geniessen weltweit keine Schulbildung?
Circa 260 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 17 Jahren haben weltweit keinen Zugang zu Bildung. Diese Zahl ist viel zu hoch. Wir machen die Welt ein bisschen lebenswerter, indem Kinder Zugang zu Bildung und damit zu einer hoffnungsvollen Zukunft erhalten.

Warum engagieren Sie sich gerade in Indien?
Aufgrund hoher Affinität der Gründungsmitglieder zu Indien wurde das Land als Einsatzort bestimmt, und zwar die ärmste Provinz West Bengal. Indiens Bevölkerung hat mit 26,7 Jahren ein sehr geringes Durchschnittsalter. Vor allem die Menschen der untersten Kasten, die den grössten Anteil der Gesamtbevölkerung Indiens ausmachen, arbeiten traditionell als Tagelöhner und haben von Geburt an nur geringe Aufstiegschancen. Der geringe Lohn der Eltern reicht oft nicht zum Überleben und so müssen auch die Kinder arbeiten. Dies ist ein Teufelskreis, den man nur mit Schulbildung durchbrechen kann.

 Wie viele Kinder können ausgebildet werden und wie wählen Sie diese Kinder aus?
Die Schulleiterin Supriya Roh Chowdhury führt mit der „Community Mobilizerin“ Boni Basak die Auswahl der Kinder durch. Grundsätzlich werden nur Kinder aus armen Verhältnissen aufgenommen. Supriya steht laufend in Kontakt mit dem verantwortlichen Vorstandsmitglied B. Notter. Der Austausch besteht aus monatlichen Berichten über Skype und jährlichen persönlichen Besuchen vor Ort in Indien. Fortschritte, Lehrplan, Probleme und anstehende Anlässe werden permanent ausgetauscht. Der nahe Austausch von Informationen ist uns besonders wichtig. Bei unseren jährlichen Besuchen in Indien treffen wir auch die Eltern der Kinder.

Im Jahre 2013 wurde kidz planet Learning Center (KPLC) in Mohammadpur, ausserhalb von Kalkutta eröffnet. Welche Bilanz können Sie nach sechs Jahren ziehen?
181 Schüler gehen täglich in die neu erstellte, eigene Schule. Ab 2020 werden es 215 Kinder sein. Wir haben 8 Klassen vom Kindergarten bis in die 4. Klasse. Ziel ist es, die Kinder in den Schulbetrieb einzuführen und den Übertritt in die 5. Klasse der Volksschule zu gewährleisten. 15 Mitarbeitende kümmern sich um Lernen, Wohl und Ernährung. Nebst Unterricht, Lehrmaterial, Uniform und Schulbus versorgt kidz planet die Kinder mit nahrhaften Mahlzeiten und medizinischer Betreuung. Wir haben 15 Arbeitsplätze geschaffen und die Mitarbeiter bilden sich ständig weiter.

Was sind die Pflichtfächer?
Die Pflichtfächer Rechnen, Schreiben, Bengali, Englisch, Geografie und Biologie bereiten unsere Schüler auf den Übertritt in die Volksschule vor.

Und was lernen die Kinder zusätzlich zu diesen Fächern?
Neben den Pflichtfächern unterrichten wir unsere Schüler in Handwerk, Tanzen, Theater sowie im sozialen Miteinander, sie lernen ihre Umwelt, die Natur und Mitmenschen wertzuschätzen. Dabei spielt das Thema Umweltschutz eine grosse Rolle. Ausserdem bringen wir den Kindern die Notwendigkeit von Hygienemassnahmen bei. Das Lehrerteam vermittelt den Lehrstoff auf spielerische Art und Weise, angepasst an die jeweilige Altersgruppe.

Viele arme Familien schicken ihre Kinder bereits in jungen Jahren zum Arbeiten, um die Familie zu unterstützen. Wie schaffen Sie es, dass Eltern ihre Kinder lieber zur Schule schicken?
Die Schulleitung nimmt Kontakt zu den Eltern auf und zeigt ihnen die Möglichkeiten, die durch Schulbildung entstehen, konkret und detailliert auf. Die meisten Eltern wünschen sich eine bessere Zukunft für ihre Kinder.

Welchen Gefahren sind Kinder in Indien ohne Schulausbildung ausgesetzt?
In den für die Region üblichen Backsteinfeldern sind Kinder beliebte billige Arbeitskräfte. Mädchen werden viel zu oft schon ab zwölf Jahren verheiratet. Zahlreiche Eltern durften selbst keine Schulbildung geniessen, weil vielerorts in den verstreuten Siedlungen gar keine Schulen existierten, wie beispielsweise in unserem Schulort Mohammadpur.

Die wichtigsten positiven Auswirkungen von Bildung sind…? Bildung ist immer der Schlüssel für eine bessere Zukunft. In Indien bedeutet es jedoch noch sehr viel mehr, da es keine soziale Absicherung durch den Staat gibt. Bildung bedeutet, dass man seine Familie ernähren kann, Zugriff auf notwendige Medikamente hat, Wohnraum bezahlen kann und keinen Hunger leiden muss.

Unterrichtet die Schule mehr Mädchen oder mehr Jungen?
Die Aufteilung an unserer Schule ist ausgewogen. Das Gleichgewicht erscheint uns für das soziale Miteinander unter den Kindern ein wichtiger Aspekt zu sein.

Haben es Mädchen in Indien noch schwerer als Jungen?
Ja, da sie noch immer zwangsverheiratet und in der Familie des Mannes oft als Haushaltskraft ausgebeutet werden.  

Was wünschen sich die Kinder für ihre Zukunft? Was sind ihre Berufswünsche?
Unsere Schüler haben überraschenderweise schon in jungen Jahren konkrete Berufswünsche. Soziale Berufe wie Arzt oder Krankenschwester stehen sehr weit vorn.

Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders ans Herz geht?
Einer unserer Schüler möchte unbedingt Pilot werden. Er beobachtet schon sein Leben lang die Flugzeuge am Himmel und sein Traum ist es, selbst davonzufliegen und die anderen Länder zu erkunden. Es würde mich unfassbar glücklich machen, wenn er diese Möglichkeit irgendwann erhält. Keiner unserer Schüler oder deren Familien haben die Heimatregion jemals verlassen. Ich frage mich oft, welche Vorstellung sie vom Rest der Welt haben.

Wofür werden die Spenden verwendet? Was kostet die Ausbildung eines Kindes in Indien?
90% der Spenden fliessen direkt in das Projekt (der Branchenschnitt liegt bei 65%). Diese Quote liegt aktuell sogar bei über 98%, sprich die Administration kostet weniger als 3%. Die Ausbildung eines Schülers an unserer Schule bis zur 5. Klasse kostet 1.500 CHF inklusive Lehrmaterial und Schulverpflegung.

Was haben Sie durch Ihr Engagement für kidz planet gelernt?
Was mich immer wieder erstaunt, ist die Fröhlichkeit unserer Schüler. Sie haben so wenig und lachen trotzdem den ganzen Tag. Man kann als privilegierter Mensch aus der westlichen Welt viel von ihnen lernen. Wir ärgern uns in unserer Business Welt manchmal über Kleinigkeiten und verlieren das Wesentliche aus den Augen. Von den Kindern habe ich selbst gelernt, worauf es wirklich ankommt.

Welche anderen Organisationen unterstützt kidz planet?
Wir haben in der Vergangenheit Containertransporte mit Sachspenden nach Naturkatastrophen organisiert und begleitet, z.B. 2012 und 2014 nach Kaschmir und Ladakh. Ausserdem haben wir ein Waisenhaus in Varanasi finanziell unterstützt. Neben Projekten in Indien haben wir 2015 das Kinderspital in Zürich unterstützt.

Für die Zukunft wünschen Sie sich…?
Ich wünsche mir, dass unser Projekt weiterwächst und wir die Zukunft unserer Schüler nachhaltig verbessern können.