Wer im September 1906 den New Yorker Bronx Zoo besuchte, wurde von einem ausgestellten Säugetier im Affenhaus überrascht. Frisch aus Belgisch-Kongo importiert war es gerade einmal 1,50 Meter gross, wog keine 50 Kilogramm und hörte auf den Namen Ota Benga. Die Menge drängte sich um den Käfig; niemand wollte sich entgehen lassen, wie es seine scharfen Zähne bleckte und mit den anderen Insassen, einem Papagei und einem Orang-Utan, spielte. Ota Benga war jedoch kein Tier, sondern ein Mensch!

Bereits 1882 bereiste der kanadische Theaterbeauftragte Robert Cunningham Australien mit dem Ziel, Darsteller für eine geplante Tournee «wilder Stämme» zu rekrutieren. Er wählte neun Aborigines aus sieben verschiedenen Regionen aus. Auf Werbeplakaten wurden die Darsteller als «tätowierte, kannibalistische schwarze Fährtensucher und Bumerang-Werfer» beschrieben. Sie wurden auf Ausstellungen und sogenannten Völkerschauen in ganz Amerika und Europa gezeigt, wo sie tanzten und sangen und angehalten waren, vorgetäuschte Kämpfe zum Besten zu geben. Innerhalb von zwei Jahren starben drei der neun Darsteller.

Aber auch im Basler Zoo wurden nicht nur Tiere ausgestellt, sondern auch Menschen. Kolonialismus und Imperialismus steigerten die Lust am Fremden, Exotischen. 21 sogenannte Völkerschauen hat es im Basler Zoo 1879 bis 1935 gegeben. Jeweils mehrere Wochen lang wurde das Leben der «Fremden und Wilden» gezeigt. Zu Tausenden reisten die Schaulustigen an, um diese Sensationen zu Zuschauermagneten. Schon immer war der Mensch fasziniert vom Fremden, vom Andersartigen. Auf Jahrmärkten und in Zirkuszelten, in Museen, Panoptiken und Kuriositätenkabinetten wurden von der Norm abweichende menschliche Körper wie exotische Tiere präsentiert. Das Publikum frönte seiner Schaulust.

Im Holiday Park im deutschen Städtchen Hassloch wurden sogar bis 1996 kleinwüchsige Menschen in niedlichen Häuschen, inmitten eines Puppenstuben-Inventars als «Liliputaner» zur Schau gestellt. In «Liliputstadt» konnte man Kleinwüchsigen beim Essen, Schlafen und Arbeiten zuschauen. Anfang der Neunzigerjahre gab es eine Protestaktion: Aktivisten wollten auf die schlimmen Lebensbedingungen aufmerksam machen, auf zu kleine Behausungen und den Stress der Showstars. Der Protest galt jedoch den Delfinen im Delfinarium – die Kleinwüchsigen in «Liliputstadt» interessierten niemanden.

Ota Benga wurde nach heftigen Beschwerden von afroamerikanischen Ministern aus dem Zoo entlassen. Nach einem Aufenthalt im Waisenhaus kam er nach Virginia. Dort wurden seine Zähne, die er im Kongo zu Stummeln abgefeilt hatte, überkront und ihm wurde Alltagskleidung angezogen. Er besuchte kurzzeitig den Unterricht  in einem theologischen Priesterseminar sowie das College. Wesentlich mehr Zeit verbrachte er jedoch, ohne seine Kleidung, zu Hause und beim Herumstreifen in den nahe gelegenen Wäldern mit seinem Pfeil und Bogen. Später arbeitete er in einer Tabakfabrik in Lynchburg. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte seine Pläne, in den Kongo zurückzukehren, jedoch endgültig zunichte. Er war gefangen zwischen zwei Welten. Am 20. März 1916 beging er eine Feuerzeremonie, entfernte die Kronen von seinen Zähnen, vollführte einen letzten Stammestanz und schoss sich mit einer gestohlenen Pistole ins Herz. Die Todesurkunde wurde auf den Namen «Otto Bingo» ausgestellt. Er war 32 Jahre alt.