In die Töpfe geschaut …

Wem Tino Staub / Wo Widder Bar & Kitchen, Zürich / Dekoriert 15 GaultMillau Punkte

 Während viele Gastronome voll auf regionale und saisonale Küche setzen, heisst es seit gut einem Jahr im Widder Bar & Kitchen schlicht und einfach «Followers of the Flavours». Tino Staub und sein Team zaubern in Zürich kleine, feine Gerichte rund um den kulinarischen Erdball.

Text: Yvonne Beck

Der Schweizer Chefkoch macht sich auf die Suche nach faszinierenden Geschmackskombinationen und kreiert unkonventionelle Gerichte, die in acht verschiedene Flavour Trails wie «Salt & Pepper», «Basil Bash», «A-nis Thing to Eat», «When Life gives you Lemons» oder «Intro to Cilantro» gruppiert sind. Wer auf dem Trüffel-Geschmackspfad wandert, hat zum Beispiel die Qual der Wahl zwischen Pilztatar mit Zweierlei von der Schweizer Ente mit Butterbrioche und Trüffel oder einem lauwarmen Salat von Wurzelgemüse mit Artischocken, Onsen-Ei und Herbsttrüffeln. Besonders feine Geschmacksnoten haben aber auch das Ceviche von der griechischen Meerbrasse mit Aji Amarillo, Mango und Granatapfel (Lemon Trail), das Tatar vom Yellow Fin Tuna mit Thaibasilikum-Eis und Gurkenperlen (Basil-Trail) oder die Widder Tajine vom deutschen Wildschwein mit Maniok und Aprikosen (Smoke Signs). Dabei macht Tino Staub Schluss mit schweren Mehrgängern und zelebriert einen kulinarischen Lifestyle, wie man ihn sonst eher aus London oder New York gewohnt ist. Und durch das «Plates to share»-Konzept kommt der Gast in den Genuss vieler verschiedener Geschmäcker und Leckerbissen. Wir trafen Tino Staub in der Widder Bar auf einen Drink und sprachen mit ihm über harmonische Speisen, die Kunst der asiatischen Küche und den Zauber indischer Aromen.

 Viele Restaurants setzen auf Regionalität und «Nose to Tail», Sie gehen einen ganz anderen Weg, warum?
Mit dem AuGust haben wir bereits ein «Nose to Tail»-Restaurant im Haus. Während die ganze Schweiz auf der Vegi-Welle mitsurfte, eröffneten wir vor circa fünf Jahren den Fleischtempel. Mit der Widder Bar & Kitchen wollten wir nochmal etwas ganz anderes schaffen. Ein Restaurant, das auf Internationalität setzt. Mit der von uns praktizierten «Flavour-Küche» wären wir bei ganz strikter Regionalität einfach zu eingeschränkt gewesen. Und so haben wir uns für ein internationales Restaurant mit internationalen Produkten entschieden. Alle Produkte, die ich jedoch hier erhalten kann, beziehen wir auch aus der Schweiz. Das Gemüse, das Rindfleisch oder das Poulet kommen aus Schweizer Betrieben.

Und wie wichtig ist für Sie die Saisonalität?
Wichtig, deshalb wechseln wir unsere Karte zwei- bis dreimal im Jahr fast komplett durch. Und zwischendurch tauschen wir immer einzelne Gerichte aus. Spargel im Winter wird es bei mir nie geben. Spargel ist eins meiner Heiligtümer.

Spargel schmeckt ja auch nur deshalb so gut, weil es ihn frisch nur zu einer bestimmten Saison gibt, oder?
Ja, auf jeden Fall. Spargel gibt es bei mir immer im April. Da freut man sich doch bereits im Februar drauf. Wenn dann die ersten grünen Knospen endlich wieder auftauchen, dann verbindet man das automatisch mit dem frischen Geschmack von Spargel. Im Frühling bekommt man einfach Lust auf Leichtigkeit und Frische.

Ist der Frühling also die schönste Jahreszeit zum Kochen?
Nein, ich finde jede Jahreszeit spannend. Im Herbst kommen zum Beispiel die etwas deftigeren Speisen auf den Tisch. Wild, Kürbis und der weisse Trüffel. Und dann freue ich mich aber auch auf frisches, junges Gemüse wie Erbsen oder Morcheln.

Was ist Ihnen wichtig beim Kochen?
Saisonalität, frische Küche und Spass an der Arbeit. Für mich ist es ganz wichtig, dass ich mich mit jedem meiner Gerichte identifizieren kann.

In der Widder Bar & Kitchen arbeiten Sie in einer offenen Showküche. Gibt es für Sie einen Unterschied zur Arbeit in einer nicht einsehbaren Küche?
Nein, ich bin Kochen in offenen Küchen gewohnt. Im AuGust haben wir ja auch eine. In der Widder Bar & Kitchen können jedoch bis zu zehn Gäste direkt an der Theke sitzen und mir auf die Finger schauen. Aber das Essen muss immer perfekt herausgehen, egal, ob jemand zuschaut oder nicht. Ausserdem finde ich es sehr schön zu sehen, für wen man kocht.

Wer setzt sich an die Tischreihe direkt zur Küche?
Hobbyköche und Food-Begeisterte, aber auch Gäste, die alleine reisen.

Die Bar und die Küche arbeiten eng zusammen. So gibt es zum Beispiel den passenden Cocktail zum Essen …
Genau, unsere Karte ist ja nach Flavours geordnet, und zu jedem Geschmack haben wir einen passenden Cocktail. Wie beispielsweise den «Sophie Magdalena» aus Belsazar Rosé Vermouth, Basilikum, Morgentau Bitters und Swiss Mountain Tonic.

Und wie werden Cocktails zum Essen angenommen?
Super! Durch die kleineren Portionen und das Sharing-Konzept passt ein Cocktail hervorragend. Zudem ist ein Cocktail häufig erfrischender, neuzeitlicher und spricht vermehrt ein jüngeres Publikum an. Die Internationalität der Karten, die Musik, das Licht und unsere Kellner … das alles spielt zusammen und erzeugt eine Atmosphäre, in der man auch gerne mal einen Cocktail zum Essen trinkt. Man darf ja auch nicht vergessen, dass es sich um einen Cocktail aus der Widder Bar handelt – die ein Aushängeschild der Stadt Zürich ist.

Wobei es inzwischen viele gute Bars in Zürich gibt …
Aber es gibt nicht viele, die auf einem so hohen Niveau agieren wie die Widder Bar. Hier werden Cocktails mit handwerklicher Perfektion und ganz viel Kreativität gemixt. Das Spannende bei uns ist ja die Kombination aus Tradition und modernem Konzept.

Hat sich das Widder allgemein verjüngt?
Ja, bereits mit der Eröffnung des AuGust konnten wir ein jüngeres Publikum begeistern. Die Widder Garage hat dann als Szene-Location weitere Akzente gesetzt. Mit den baulichen Veränderungen für die Widder Bar & Kitchen und der neuen Gastronomieausrichtung im Haus haben wir sicherlich den Zeitgeist sehr gut getroffen und Fünfsterne-Hemmschwelle abgebaut.

Trotzdem sind im Vergleich zum Rest von Europa die Preise in der Schweiz und gerade im Bereich der Gastronomie recht gepfeffert. Warum ist das so?
Zum einen haben wir höhere Auflagen als in der EU, besonders in Bezug auf Tierhaltung. Hinzu kommen höhere Verarbeitungskosten durch das Schweizer Lohnniveau ergo sind auch alle Produkte teurer. Für gute Qualität muss man einfach mehr zahlen. Es gibt einen grossen Unterschied zwischen einem guten Schweizer Kalbfleisch-Schnitzel und einem günstigeren importierten Poulet-Schnitzel. Diesen schmeckt man auch! Wir setzen auf kompromisslose Qualität – sowohl bei den Lebensmitteln als auch im Service.

Haben Sie ein Lieblingsgericht bzw. Lieblings-Flavour auf der Karte?
Nein, eigentlich nicht – ich mag alles, was wir kochen. Aber ich bin eher der asiatische Typ. Ich liebe Chili und Koriander.

Ihre Karte ist international, doch welches Land würden Sie gern vier Wochen bereisen und die jeweiligen kulinarischen Spezialitäten kennenlernen?
Indien. Die indische Küche ist für mich die geschmacksintensivste. Trotzdem ist sie extrem rund. Ich liebe auch die thailändische Küche mit ihrer Kombination aus Schärfe, Süsse und Säure. Während die indische Küche tiefgründiger und zeitintensiver in der Zubereitung ist, begeistert mich an der thailändischen Küche die Frische und das Kochen „a la minute“.

Aber welche Küche steht Ihrer Kochphilosophie am nächsten?
Die thailändische, da ich in Bangkok gearbeitet und Thailand auch bereits recht häufig bereist habe.

Wie würden Sie Ihre eigene Küche beschreiben?
Lokale, frische Produkte mit internationalen Gewürzen und Kochtechniken. Die Internationalität des Geschmacks ist für mich besonders wichtig. Ich habe nie nur mit Salz und Pfeffer gekocht.

Wie wichtig ist Essen für Sie?
Essen ist meine größte Leidenschaft! Und Kochen meine Passion, die ich zum Beruf gemacht habe. Essen und Essen zubereiten das ist mein Leben. Selbst in den Ferien liebe ich es, mich auf die Suche nach neuen Produkten zu machen, auf Märkte zu gehen und neue Gerichte auszuprobieren.

Was kommt bei Ihnen nicht auf den Tisch?
Wir haben viele Sachen, die nicht auf der Karte stehen, da die Nachfrage einfach nicht da ist – wie beispielsweise Froschschenkel. Zudem würde ich nichts kochen, was auf der Schwarzen Liste steht.

Auf welche Nahrungsmittel würden Sie nur ungern verzichten?
Ich liebe Chili. Ich brauche Rasse und Pfiff im Essen. Asiatische Aromen sind mein Steckenpferd, aber natürlich passen sie nicht zu allem.

Stichwort Einfachheit – wie viele Aromen braucht ein guter Teller?
Das ist so pauschal nicht zu beantworten. Manchmal reichen lediglich drei Zutaten, wie wir es aus der Haute Cuisine kennen. Für mich ist die Harmonie der Aromen eines Gerichtes ausschlaggebend – eben Flavour-Küche.

Ist Kochen Kunst oder Handwerk?
Handwerk. Ich brauche keine Türmchen, Schäumchen, Perlchen oder Würfelchen und ein Kellner, der mir sagt, dass ich von links nach rechts essen muss.

Was unterscheidet einen guten Koch von einem sehr guten Koch?
Die Liebe zum Detail und die Leidenschaft zum Produkt. Kochen ist Hingabe und mehr als ein Job.

Was ist für Sie Kochen in drei Worten?
Passion, Freude und Berufung.

Was ist das köstlichste Gericht, das Sie je gegessen haben?
Als ich das erste Mal in Indien war, habe ich um 3 Uhr morgens ein Kichererbsen-Curry bestellt. Dieser fantastische Geschmack ist mir bis heute noch in Erinnerung. Ob es das aufwendigste Essen war, das ich jemals hatte, sicherlich nicht, aber in seiner Einfachheit ein kulinarisches Fest. Nachts in Mumbai mit all den Eindrücken und dann dieser pure Indiengeschmack – himmlisch!

 Fisch oder Fleisch?
Jedes zu seiner Zeit, aber wahrscheinlich eher Fleisch.

Süss oder Scharf?
Scharf!

Gibt es ein Gericht, das Sie am liebsten zubereiten?
Ich liebe rohen Fisch und das Tuna Tatar mit Thaibasilikum-Glace kann ich nur empfehlen.

Woher bekommen Sie Inspirationen für neue Rezepte?
Viele Ideen kommen durch saisonale Produktvielfalt. Aber auch durchs Reisen und das Kennenlernen fremder Länderküchen und Kulturen. Dabei habe ich zum Beispiel gelernt, was gut zusammenpasst. Schärfe, Frische, Säure, Süsse – die ausgeklügelte Kombination von ganz unterschiedlichen Aromen, die ein harmonisches Ganzes ergeben. Wer die kulinarische Welt einfangen möchte, so wie ich, muss einfach gerne reisen und in viele fremde Töpfe schauen.

Wohin geht die nächste Reise?
In Asien habe ich das meiste schon erkundet. Jetzt zieht es mich nach Mittel- und Südamerika. Mexiko oder die peruanische Küche finde ich sehr spannend.

Was wäre Ihre Galgenmahlzeit?
Entweder ein Stück Fleischkäse mit Spiegelei aus dem AuGust oder ein scharfes thailändisches Curry.