Noch heute ruft Pittsburgh bei vielen das Bild von qualmenden Schloten der Stahlwerke hervor. Doch ähnlich wie im deutschen Ruhrgebiet haben sich auch hier ganze Landschaften unter der Überschrift «Kultur statt Kohle» neu erfunden.

«Pittsburgh ist eine wundervolle Stadt, ideal für Biker, Kunstliebhaber und Querdenker. Die Lebensqualität ist enorm hoch, das Essen fantastisch und die Menschen sind ehrlich», erklärt uns John, unser Bike-Guide. Das war nicht immer so. Die Stadt hat einen langen Weg hinter sich, über Jahrzehnte war Pittsburgh die Hauptstadt der amerikanischen Stahlindustrie. Eine Stadt, die unter den Rauchschwaden der Fabriken zu ersticken drohte.
Wo einst Schornsteine rauchten
«Als mein Vater ein Kind war, war es mittags bereits dunkel, und wenn meine Mutter mir als Kind die Nase putzte, war das Taschentuch anschliessend schwarz», berichtet John über die Zeiten, als die Schornsteine rauchten und die Stahlöfen glühten. Doch Anfang der Achtziger brach die Stahlindustrie zusammen, über 175.000 Arbeitsplätze gingen verloren und Menschen verliessen die Stadt in Scharen. Doch aus dem amerikanischen «Kohlenpott» ist dank eines ehrgeizigen Sanierungsprogramms eine Stadt der Hochtechnologie geworden. Pittsburgh setzte auf Biotechnologie und Unternehmen der Umweltbranche. Mittlerweile ist die Stadt führend beim ökologischen Bau. Die grüne Transformation von Pittsburgh zieht immer mehr Firmen und kreative Menschen an und erlebt so in den letzten Jahren ein echtes Comeback. Wie sehr der technologische Fortschritt Einzug gehalten hat, lässt sich unter anderem an den selbst fahrenden Uber-Fahrzeugen erkennen.
Und um es gleich vorwegzunehmen: Ja, eine Reise nach Pittsburgh lohnt sich! Vor allem Fans von Städtereisen kommen hier voll auf ihre Kosten: Die Stadt befindet sich genau dort, wo der Monongahela River und der Allegheny River in den Ohio fliessen, Wasserwege und Brücken, die die einzelnen Neighbourhoods verbinden, bestimmen das Stadtbild. Insgesamt verfügt Pittsburgh über 90 verschiedene Stadtviertel, die alle ihren eigenen Charakter haben. Ob das jüdisch geprägte Squirrel Hill, «Deutschtown» oder das italienische Bloomfield, auf Schritt und Tritt erzählt die Stadt die Geschichte der Einwanderer, die auf der Suche nach dem amerikanischen Traum hier gelandet sind. Auch die Familie Warhola gehörte zu den Einwanderern der Arbeiterklasse. Sie stammten aus dem Gebiet der heutigen Slowakei, reisten 1916 in die USA ein und schenkten Pittsburgh den berühmtesten Sohn der Stadt: Andy Warhol!
Konservendosen auf dem Grab
Der Pop-Art-Künstler wurde am 6. August 1928 als Andrew Warhola in Pittsburgh geboren. Hier studierte er Grafik und schuf viele seiner Werke. Seine Motive bezog er aus der Alltagskultur der Amerikaner – er malte unter anderem Dollarscheine und die berühmt gewordenen Tomatensuppendosen, aber auch Bilder aus Zeitungen. Heute sind viele dieser Werke im Andy-Warhol-Museum in Pittsburgh ausgestellt. Insgesamt umfasst es mehr als 4.000 Kunstwerke, darunter Gemälde, Zeichnungen, Drucke, Fotos und Skulpturen wie etwa Warhols Porträts von Marilyn Monroe und Mick Jagger. Aber auch ein umfangreiches Archiv, das unter anderem aus seinen einzigartigen «Zeitkapseln» – insgesamt 610 Kisten und Container, welche der Künstler zu seinen Lebzeiten mit Erinnerungstücken verpackt und versiegelt hatte – besteht. So ist das Pittsburgher Andy-Warhol-Museum mit mehr als 12.000 Ausstellungsstücken das grösste, nur einem Künstler gewidmete Museum des Landes.
Donald Warhola, Neffe des Künstlers, führt uns durch das Haus und erklärt uns: «Pittsburgh hatte einen grossen Einfluss auf Onkel Andys Arbeit. Es war seine Heimat. Hier war er zu Hause und fühlte sich wohl.» Sein Onkel sei eher ein schüchterner und zurückhaltender Charakter gewesen, eigentlich sei er nur bei seiner Familie richtig aufgeblüht und in seiner Arbeit. «Als ich älter war, hatte ich immer das Gefühl», so Donald Warhola weiter, «dass es zwei Personen gab: Andrew Warhola und die Andy-Warhol-Persönlichkeit. Die Person Andy Warhol bot meinem Onkel die Möglichkeit, all jene Dinge zu tun, die Andrew Warhola, dem Jungen aus Pittsburgh, nicht möglich waren.» Sein Onkel sei eine visionäre Persönlichkeit gewesen. Wie visionär zeigen nicht nur seine Bilder, sondern auch seine Zitate. Allen voran «In der Zukunft wird jeder für 15 Minuten weltberühmt sein» – als hätte Warhol den ganzen Influencer- und Instagram-Wahn vorausgesehen. Seine sterblichen Überreste liegen auf dem hiesigen Bethel Cemetery. Noch immer ist sein Grab eine Pilgerstätte für Fans, die anstelle von Blumen Campell-Suppendosen vor dem Grabstein postieren. Hardcore-Fans können das Grab ihres Idols sogar rund um die Uhr live beobachten. Vor einigen Jahren liess das Warhol-Museum eine Webcam an der Ruhestätte installieren.
Das Erbe grosser Namen
Pittsburgh selbst hat sicherlich mehr als 15 Minuten Berühmtheit verdient, schon allein aufgrund des Cultural District. Was man hier auf nur wenigen Quadratkilometern in und um die Innenstadt an Museen, Theateraufführungen und Konzerten geniessen kann, ist schier unglaublich. Die Grundlage für das hohe kulturelle Niveau schufen schon vor Warhols Zeit berühmte Persönlichkeiten wie Stahl-Tycoon Andrew Carnegie, Ketchup-König John Heinz oder der Industrielle Henry Clay Frick. Carnegie gründete unter anderem schon in den 1890er-Jahren das Carnegie Museum of Art, und damit das erste Museum für zeitgenössische Kunst des Landes. Auf den Spuren des goldenen Zeitalters begeben sich Geschichtsinteressierte im «The Frick Pittsburgh». Auf dem 20.000 Quadratmeter grossen Gelände befinden sich neben dem Frick Art Museum auch ein Auto- und Kutschenmuseum sowie ein Gewächshaus – und das Heinz History Center, das grösste Geschichtsmuseum in Pennsylvania. Einblicke in die moderne Kunst gibt «The Mattress Factory», eine alte Matratzen-Fabrik. Sie zeigt Installationen von internationalen Künstlern, die als Stipendiaten zu Gast in Pittsburgh sind. Und wer immer noch denkt, Kunst sei dröge und langweilig, den wird das Randyland eines Besseren belehren. Das nur wenige Grundstücke umfassende Areal ist ein farbenfrohes Beispiel öffentlicher Kunst. Mit Randyland hat Randy Gilson ein Museum für «Art brut», so der Fachbegriff für autodidaktische Kunst von Nicht-Künstlern, fernab des Mainstreams geschaffen. Oder einfach einen schrillen Ort, der Spass macht.
Zu Hause bei Familie Kaufmann
Doch Pittsburgh glänzt nicht nur mit seinen Museen, allein die Wolkenkratzer Downtowns, allen voran der PPG Place von Philip Johnson und John Burger, lassen die Herzen so mancher Architektur-Fans höherschlagen. Der Komplex mit schwarzer Glasfassade und der beeindruckenden Höhe von 193 Metern ist an das Londoner House of Parlament angelehnt und vermischt Moderne mit gotischen Elementen. Doch Liebhaber der Baukunst entdecken nicht nur in den Strassen Pittsburghs regelmässig bauliche Highlights: Frank Lloyd Wright hat ganz in der Nähe der Stadt «Fallingwater» und «Kentuck Knob» erschaffen – zwei architektonische Meilensteine.
Die Laurel Highlands, eine Stunde südlich von Pittsburgh, sind geprägt von sanften, bewaldeten Bergen und grünen Tälern. Hier versteckt sich eines der absoluten Meisterwerke des Architekten Frank Llyod Wright: «Fallingwater». Das Wochenenddomizil der Familie Kaufmann, Eigentümer des Pittsburgher Kaufhauses, wurde 1939 fertiggestellt. Das Gebäude passt sich nahtlos seiner natürlichen Umgebung an und ist das einzige Gebäude Wrights, das noch immer genau so steht, wie er es entworfen hat. Fallingwater ist durchdrungen von der Natur. In flachen, übereinander gestaffelten Ebenen liegt es am Hügel, grösstenteils erbaut aus dem Stein, den die Landschaft hergibt. Eigentlich hatte der Stararchitekt für die Kaufmanns ein Haus am Wasserfall bauen sollen – doch er baute es direkt über dem Wasserfall. Das macht Fallingwater so einzigartig. Alles im Haus hat er extra designt, auch die Möbel. «Kentuck Knob», eine weitere Schöpfung Wrights, wurde 1953 entworfen und in die Flanke eines Hügels hineingebaut. Das Haus besticht vor allem durch seine natürlichen Baumaterialien, ein sechseckiges Design und die wabenförmigen Oberlichter. Eine Tour durch das Gebäude dauert etwa eine Stunde und führt auch durch den Skulpturengarten mit Werken von Andy Goldsworthy, Ray Smith und anderen Künstlern.
Die Renaissance des industriellen Erbes
«Rust Belt» nannten die Amerikaner die Region mit Pittsburgh im Zentrum. Mehr als ein Jahrhundert lang war die Stadt der Inbegriff der amerikanischen Schwerindustrie. Geprägt durch Russ, Schornsteine und Staublungen. Hochöfen, die zu besten Zeiten bis zu 1.250 Tonnen Eisen am Tag erzeugten, verkommen heute. Rostbraune Monster aus Stahl stehen in der Landschaft herum, darunter die Eisenhütte «Carrie Furnaces» am Ufer des Monongohela River im Osten der Stadt. Hier treffen wir Ron Baraff von der «Steel Industry Heritage Corporation», einer Organisation, die sich um das Erbe der Stahlindustrie kümmert. Er hat sich den Erhalt von Teilen der Industriekultur von Pittsburgh auf die Fahne geschrieben, dazu macht er die Industrieruine Besuchern und Künstlern zugänglich. «Wenn wir die Gegend von den ehemaligen Fabrikgebäuden säubern würden, dann vernichten wir unsere eigene kollektive Geschichte. Wir wollen der Nachwelt zeigen, was der Stadt einst Reichtum gebracht hat», erklärt er uns. Dazu nimmt sich der Verein das Ruhrgebiet zum Vorbild. «In Deutschland hat man es geschafft, diesen wichtigen Teil der Geschichte zu retten, indem man Industrieanlagen zu Naherholungsgebieten und Kulturorten umwandelte», bringt er die Herausforderung auf den Punkt, «und wir sind hier auf dem besten Wege, auf dem Gelände der alten Eisenhütte einen spannenden neuen kulturellen Ort zu schaffen.» Beinahe täglich führt er Gruppen über das Gelände, auf welchem Graffitisprayer aus der ganzen Welt die Mauern mit ihren Kunstwerken verzieren und so ein spannendes Open-Air-Museum entstehen lassen. Wahrzeichen ist ein riesiger Hirschkopf, den eine Künstlergruppe aus Materialien fertigte, die auf dem Areal gefunden wurden. Zudem gibt es inzwischen Musikfestivals und Theateraufführungen auf dem Gelände – «Glück auf, Pittsburgh!»
Fazit: Pittsburgh hat den Ruf der verrussten Industriestadt erfolgreich abgelegt. Aus dem ehemaligen Kohlenpott ist eine gastfreundliche Stadt mit einer erstaunlichen Kultur- und Food-Szene geworden. Eine Stadt mit einem ehrlichen und freundlichen Menschenschlag, die sie so liebenswert macht. Und in der es ab und an auch mal ein wenig schräg zugeht wie beim «Eingelegte-Gurken-Wasser-Trinkwettbewerb», der jährlich in Erinnerung an die Anfänge der Firma Heinz, welche als Erste das süss-saure Grünzeug in Konserven auf den Markt brachte und später mit dem Ketchup weltweit Kult-Status erlangte, stattfindet. Ja, Pittsburgh hat sich erfolgreich weiterentwickelt, doch hat die Stadt ihr Erbe nicht vergessen. Kein Wunder gilt das «Primanti Sandwich», bei dem Fleisch, Pommes frites und Krautsalat zwischen zwei Brotscheiben geklemmt werden, immer noch als eines der Signature Dishes der Stadt. Die Stahlarbeiter, die in der Geschichte der Stadt eine so wichtige Rolle spielten, haben diese Mahlzeit geprägt. Ein nahrhafter, schneller Snack zwischen der harten Arbeit.
Klugscheisser-Wissen
1 Sportstudio
Als die Wirtschaft und die lokale Stahlindustrie in den 1970er-Jahren einen herben Rückschlag erlitten, zog die ganze Stadt ihren Stolz aus ihrer NFL Football-Mannschaft: die Steelers! Bereits seit 45 Jahren werden in den Stadien die «Terrible Towels» geschwungen. Nachdem die Mannschaft 1975 in die Play-offs eingezogen war, suchte die Vereinsführung händeringend nach einer Möglichkeit, eine beeindruckende Drohkulisse im Stadion zu schaffen. Die Fans sollten etwas in die Hand bekommen, was leicht an Gewicht zu transportieren und aufzutreiben war. So wurde die Idee des «Terrible Towel» geboren: Die Anhänger der Steelers lassen seitdem gelbe Handtücher über ihren Köpfen in der Luft kreisen, um die Mannschaft auf diese Art zu Höchstleistungen anzuspornen. Übrigens tragen in Pittsburgh alle Mannschaften traditionell die Farben Schwarz und Gold – unabhängig von der Sportart. Den einzigartigen Teamgeist erleben Besucher beim Spiel der Penguins (Eishockey), Pirates (Baseball) oder Steelers (Football).
2 Bikers-Paradies
Pittsburgh erkundet man idealer Weise mit dem Fahrrad. Der Golden Triangle Bike Shop verleiht nicht nur Räder, sondern organisiert auch verschiedene Stadttouren; es gibt sogar eine Route bis nach Washington D.C. Auf der Great Allegheny Passage (GAP) geht es 240 Kilometer bis nach Cumberland, Maryland, um von dort auf dem Chesapeake & Ohio Kanal (C&O Canal Towpath) weitere 300 Kilometer bis nach Washington zu strampeln. Der Grossteil der GAP verläuft entlang ehemaliger Eisenbahnstrecken, die einst für den Kohletransport der blühenden Stahlindustrie im Westen Pennsylvanias verantwortlich waren. Noch heute können Zeitzeugen der Eisenbahnvergangenheit entlang des Weges bestaunt werden, darunter Brücken und Tunnel sowie alte Bahnhöfe. Der C&O Canal Towpath folgt dem Potomac River, der während des Amerikanischen Bürgerkriegs eine strategische Grenze zwischen den Nord- und Südstaaten bildete. Für jeden, der sich für Fahrräder interessiert, ist das «Bicycle Heaven» ein Muss! Hier gibt es die grösste Drahtesel-Sammlung der Welt zu sehen! Und wer seinem Bonanza-Rad aus Kindertagen nachtrauert, dem wird hier das Herz aufgehen.
3 Lehranstalt
Auf dem Campus der Universität Pittsburgh verteilen sich rund 70 Gebäude. Nicht zu übersehen ist die «Cathedral of Learning», ein gigantischer gotischer Turm mit 42 Stockwerken und einer Höhe von 162 Metern. Es ist damit das zweithöchste Uni-Gebäude der Welt. Neben Hörsälen beherbergt es auch die 31 sogenannten Nationality Rooms, die alle im Volksstil einer Nation dekoriert und möbliert sind. Diese Räume sollen jedoch nicht nur Erbe und Traditionen dieser Länder honorieren, sondern auch den Austausch unter den Menschen unterschiedlicher Herkunft fördern. Die Länder-Räume müssen jeweils eine Zeit vor 1787 widerspiegeln, dem Gründungsjahr der Universität. So sieht der chinesische Raum aus wie die Empfangshalle der Verbotenen Stadt in Peking und der Irische Raum wie ein Oratorium des 12. Jahrhunderts.
4 Saucenkönig
Henry J. Heinz, in Kallstadt in der Pfalz geboren, gründete schon mit 16 Jahren in Pennsylvania eine Firma. Ihr Produkt: Meerrettich, abgefüllt in Glasflaschen, die Heinz vor allem in Pittsburgh verkaufte, dazu Essig, Sauerkraut und Gurken. Zudem experimentierte er mit der chinesischen Fischsauce «ketsiap» und heraus kam 1876 der Tomaten-Ketchup. Der Grundstein für das weltumspannende Unternehmen, das Würzsaucen in «57 varieties» anbietet, war gelegt.