Die Antarktis ist ein Ort endloser Weite und atemberaubender Landschaften – ein Kontinent der Superlative. Hier gibt es bis auf ein paar bemannte Forschungsstationen keine Menschen. Nur Natur pur und eine unendliche Vielfalt an Blautönen. Landschaftsbilder aus Eis und Schnee mit watschelnden Bewohnern im Frack.

Text: Yvonne Beck

Die blauen und türkisgrünen Eisbergen der Antarktis wirken unwirklich und wie retuschiert. Doch es gibt sie wirklich. / Bild: © Yvonne Beck

Nicht einmal 200 Jahre sind es her, dass der sechste Kontinent von der Menschheit entdeckt wurde und nur wenig mehr als 100 Jahre, dass ein Mensch ihn betreten hat. Viele Entdecker und Seefahrer zahlten ihren Wissensdurst mit dem Leben. Heute ist es sehr viel leichter und angenehmer, die Antarktis zu entdecken, denn luxuriöse Kreuzfahrtschiffe steuern inzwischen ihre Küsten an. Aber auch auf einem luxuriösen Expeditionsschiff wie der Hanseatic von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten bleibt eine solche Reise stets ein kleines Abenteuer, denn Wetter- und Eisverhältnisse sind noch immer unvorhersehbar und können den Fahrtverlauf massgeblich beeinflussen.

«Eis kann man nicht besiegen.»

Ice, Ice Baby …
Jeder Tag auf der Hanseatic ist anders. Jeder Tag ist etwas ganz Besonderes. Jeder Tag bietet neue atemberaubende Naturerlebnisse. Man weiss nie ganz genau, was der nächste Tag bringt oder wie Carsten Gerke, Käpitän der Hanseatic, sagt: «In der Antarktis kann man nichts erzwingen. Nicht wir bestimmen den Kurs, sondern Wind, Wetter und Eissituation.» Und so wird der Fahrplan mehr als einmal über den Haufen geworfen, abgeändert und nach Alternativen gesucht. Welche aber nie enttäuschen, sondern einfach ein anderes einmaliges Erlebnis präsentieren. Selbst bei trübem Wetter zeigt sich die Schönheit der Antarktis auf ganz besondere Art. Ist der Himmel so richtig grau, dass man in heimischen Gefilden fast depressiv werden möchte, schimmert die Antarktis in allen erdenklichen Farbtönen. Je nachdem, wie das Licht in den Eisbergen gebrochen wird, sehen sie weiss, grün, blau oder sogar schwarz aus. Auch Mikroorganismen, die auf und im Eis leben, geben den frostigen Giganten ihre Farbe.

Je nachdem, wie das Licht in den Eisbergen gebrochen wird, sehen sie weiß, grün oder blau aus. / Bild: © Yvonne Beck

Expeditionsleiter Arne Kertelheim, der bereits über 40 Mal in der Antarktis unterwegs war, erklärt uns auf einer Zodiakfahrt, dass Eisberge für gewöhnlich milchig weiss schimmern, weil sich die langen Wellen in Rot und Orange problemlos an den störenden Luftbläschen vorbeidrängen können. Sind die Eisblöcke wie im Weddell-Meer jedoch stark komprimiert, entsteht ein dunkelblauer Ton. Das gefrorene Wasser wirkt wie ein ganz schwacher Farbfilter und schluckt die langen Wellen. Hindurch kommen lediglich die grünen und blauen Kurzwellen. Sowas hätte man früher im Physikunterricht sofort wieder vergessen oder erst gar nicht verstanden. Die sechs Experten an Bord der Hanseatic schaffen es jedoch durch ihre lockere, humorvolle Art, Wissen spielerisch und spannend zu vermitteln. Ihr Spektrum umfasst Meeresbiologie, Geologie, Landeskunde, Geschichte und Biologie. Die Geologin Heike Fries weiss, dass sie es recht schwer hat, mit Felsformationen und Gesteinsarten zu begeistern, wenn nur 20 Meter weiter Hunderte von Zügelpinguinen auf und ab spazieren, aber auch das gelingt ihr durch ihren rheinischen trockenen Humor spielend.

Gigantische Eismassen
Ein besonders grosser Eisberg löste sich 1956 vom Ross-Scheleis. Er hatte eine Fläche von 31.000 km2, was etwa einer Grösse von NRW oder Brandenburg entspricht. 1986 ging sogar eine russische Sommerstation mit auf Reise einer ausgedehnten Eisfläche. Von Strömung und Wind angetrieben, driften durchschnittlich grosse Eisberge etwa zehn Kilometer pro Tag. Sie treiben zunächst an der Küste entlang, kollidieren mit anderen Eisbergen, laufen an seichten Stellen auf Grund und können dort für Jahre festliegen.

Faszination Eiseberg / Bild: © Yvonne Beck
Tafeleisberge im Antarctic Sound / Bild: © Yvonne Beck

Die schönsten und eindrücklichsten Eisberge begegnen uns auf unserer Reise im Antarctic Sound. Die MS Hanseatic steuert Kinnes Cove auf Joinville Island an, Joinville Island ist die grössere der Joinville-Inseln, die der nordöstlichen Spitze der Antarktischen Halbinsel vorgelagert sind. Starke Winde verhindern an diesem Tag jedoch eine Zodiactour in Kinnes Cove, was der Einmaligkeit dieses Tages jedoch keinerlei Abbruch tut, denn im etwa 55 Kilometer langen Antartic Sound, welcher die Joinville Island von der Spitze der Antarktischen Halbinsel trennt, begegnen wir zahlreichen wunderschönen, gigantischen Tafeleisbergen. Ein Anblick, den selbst die Crew fast ehrfürchtig werden lässt. Hunderte strahlend weisser Eisblöcke, Mammutwürfel, treiben mit gigantischem Stolz auf dem Wasser. In strahlendem Sonnenschein erleben wir eine antarktische Landschaft, wie sie schöner nicht sein könnte. Bis zum Horizont türmen sich immer mehr Eisberge auf. Dabei erblicken wir auch den sogenannten B15Y-Eisberg. Er ist ein Teilstück eines grossen Eisberges, der im März 2000 vom Ross Eisschelf abgebrochen ist und den Namen B15 erhalten hatte. Er war seinerzeit 275 mal 40 Kilometer gross. Im Laufe seiner Reise durch das Südpolarmeer ist er jedoch in verschiedene Teile zerbrochen. Denjenigen Teil, den wir nun sehen, hat «nur noch» eine Kantenlänge von etwa zehn Meilen. Mit dem Fotoapparat ist dieser Anblick nicht einzufangen, geschweige denn die enorme Grösse, trotzdem kann kaum ein Passagier die Finger vom Auslöser lassen. Jeder möchte ein Stück dieser imposanten einzigartigen Natur einfangen. Schlussendlich nehme auch ich fast 400 Eisbergaufnahmen mit nach Hause. Und das ist nur ein Bruchteil der Bilder, die sich am Ende auf meiner Speicherkarte befinden.

«Der schnellste Weg durchs Eis führt um das Eis herum.»

Tiere haben immer Vorfahrt!
Die Expertin Sylvia Stevens arbeitet seit 1994 für Hapag-Lloyd Kreuzfahrten. Immer wieder zieht es sie in der Heimat der Pinguine und Wale. Die Biologin ist seit Jahren leidenschaftliche Tierfotografin und Naturschützerin. Und das mit Leib und Seele! Vor ihr haben die Passagiere grossen Respekt. Schneebedeckte Hügel rutscht man nur herunter, wenn Sylvia nicht in der Nähe ist. Denn sie kann sehr streng sein, wenn einer der Passagiere sich unbedarft brütenden Pinguinen oder säugenden Robben nähert. Nur zu gut weiss die Biologin um die Fragilität dieser Region. Die Tierwelt der Antarktis ist gegenüber Störungen durch den Menschen besonders sensibel. Werden Tiere unnötig aufgeschreckt, führt dies zu Wärme- und Energieverlust, die angesichts des antarktischen Klimas und der extremen Lebensverhältnisse schnell zu lebensbedrohlichen Schwächungen vor allem von Jungtieren führen können. Verlassen erwachsene Tiere ihre Brutstätten, so sind die Eier und Jungtiere schutzlos den hungrigen Skuas, den Raubmöwen, ausgesetzt. Daher sollte vor allem bei brütenden Pinguinen und anderen Vögeln ausreichend Abstand eingehalten werden. Das oberste Gebot lautet also: «Tiere habe immer Vorfahrt! Abstand halten! Und niemals den Fluchtweg zwischen Einzeltier und Kolonie oder Wasser zum Wasser versperren.» Mit Sylvias unglaublichem Wissen über Pinguine und Vögel zeigt und erklärt sie uns Dinge, an denen wir sonst achtlos vorbeigelaufen wären. Überhaupt stammt einer der besten Tipps von ihr: «Stehenbleiben und geniessen. Beobachten und nicht Angst haben, irgendwo das perfekte Foto zu verpassen.» Nach all den Jahren merkt man ihr bei jedem Satz ihre Faszination für die Antarktis und ihre tierischen Bewohner an. Und wer ihre Ratschläge befolgt, wird tausend schöne Augenblicke an Land einfangen.

An Land besitzen sie so gut wie keine natürlichen Feinde, deshalb scheuen Pinguine den Kontakt mit Menschen nicht.

Bewohner im Frack
Die Antarktis erfährt man mit allen Sinnen, vor allem auf Paulet Island – einer kleinen, beinahe kreisrunden Insel an der Spitze der antarktischen Halbinsel im südpolaren Weddell-Meer. Die Insel ist bevölkert von einer der grössten Adéliepinguinen-Kolonien der Antarktis. Die über 200.000 kleinen Pinguine haben regelrechte Promenadenwege angelegt, um zu ihren Brutplätzen zu gelangen. Setzt man sich mit etwas Abstand daneben, so dauert es nicht lange, und mehrere Pinguine marschieren vorbei – häufig mit einem kleinen Stein im Schnabel, denn die Adéliepinguine sind hervorragende Baumeister. Sie brüten auf flachem bis hügeligem Gelände und bauen ihre Nester aus zusammengetragenen Steinen, dem einzigen hier zur Verfügung stehenden Nistmaterial. So bleiben die Eier trocken, weil die Bodenfeuchtigkeit ferngehalten wird.

Brutpflege, bei der sich Vater und Mutter abwechseln. Während einer Futter besorgt, passt der andere auf die Kleinen auf. / Bild: © Yvonne Beck

Paulet Island nimmt man sehr intensiv wahr, denn die Pinguine kommunizieren ständig miteinander, und schon lange vor der Anlandung kann man ihr «Eau de Paulet» riechen. So elegant Pinguine in ihrem Frack und der weissen Hose wirken, in Wahrheit sind sie echte Stinktiere. Der Guano-Mief hängt noch lange in den roten Expeditionsjacken der Passagiere fest. Das unbeschreibliche Erlebnis auf Paulet Island macht den penetranten Geruch jedoch mehr als wett. Mit etwas Glück kann man hier die Aufzucht der Jungen beobachten. Und wieder einmal mehr fasziniert die Antarktis mit ihrem Tierreichtum und dem damit verbundenen lebendigen Treiben, welches der fremdartig anmutenden, eintönigen und eigentlich lebensfeindlichen Landschaft entgegensteht. Sonnentage mit ihrem hellen Licht mildern diesen Gegensatz, doch an bewölkten, grauen Tagen verdichtet sich das Bild zu einer tristen Melancholie – die wiederum ihre ganz eigene Schönheit besitzt. Aufgrund der schnell wechselnden Wetterverhältnisse kann bei nur einer Anlandung beides erfahren werden.

Klein sind sie richtig putzig. / Bild: © Yvonne Beck

Von Teewärmern & Seebären
Auch in der Fortuna Bay in Südgeorgien erleben wir einen solch schlagartigen Wechsel des Wetters. Innerhalb von wenigen Minuten wechselt sich strahlender Sonnenschein, in dem wir die zauberhafte Gebirgslandschaft bestaunen, mit dichtem Schneetreiben ab, in dem wir kaum die Hand vor Augen erkennen. Trotzdem geniessen wir jeden Augenblick an Land. Es wimmelt von Seebären: mächtige Bullen, die ihre Harem bewachen, kleine, vor erst wenigen Tagen geborene Jungtiere, die laut nach ihrer Mutter rufen, Weibchen, die ihre Neugeborenen stillen, und Halbstarke, die zu einem beherzten Spurt auf die Hapag-Lloyd-Passagiere ansetzen. «Stehenbleiben, gross machen!», so Arne Kertelheims lapidare Antwort auf unsere Frage, was zu tun sei, wenn so ein Jungbulle aggressiv auf uns zu rennt. Nachdem der erste seine Zähne gezeigt hat, haben die meisten Passagiere nämlich mächtig Respekt vor ihnen. Obwohl die meisten nur bluffen und sich aufspielen wollen, sind uns die jungen Seeelefanten, die wie dicke Raupen platt am Strand liegen, bedeutend lieber. Zwischendrin stehen bereits vereinzelt Königspinguine.

Die jungen Königspinguine sehen aus wie Teewärmer / Bild: © Yvonne Beck
Mit dicken braunen Gefieder trotzen sie den eisigen Temperaturen. / Bild: © Yvonne Beck

Die Königspinguine sind die zweitgrösste Pinguinart. Er legt nur ein Ei und baut anders als die Adélies keine Nester, sondern verwahrt das Ei auf seinen Füssen. Nach einem kurzen Spaziergang gelangen wir zu einer grossen Kolonie von Königspinguinen mit Tausenden flauschigen braunen Jungtieren, die wie Teewärmer oder alte Russen in einem zu grossen Pelzmantel aussehen. Dicht an dicht gedrängt trotzen sie dem Schneetreiben. Und wir können uns trotz des beissenden Windes nur schwer von diesem faszinierenden Anblick losreissen. Pinguine, so weit das Auge reicht. Kaum vorzustellen, dass eine Mutter hier ihr Junges allein an der Stimme wiederfinden kann. Stundenlang könnten wir hier ausharren und den Tieren beim Füttern, Balzen oder der Gefiederpflege zusehen. Königspinguine sind nur in wenigen Regionen auf der Welt anzutreffen: Südgeorgien scheint ein Paradies für diese Vögel zu sein. Der Bestand in der Subantarktis wird auf rund 3,5 Millionen geschätzt. Die Bestände haben in den letzten Jahren in allen Brutkolonien zugenommen, nachdem es während des 19. und 20. Jahrhunderts aufgrund der Seehundjagd und des Abschlachtens der erwachsenen Tiere zur Ölgewinnung aus der reichen Fettschicht zu deutlichen Bestandsrückgängen kam.

Auf Südgeorgien brüten im Sommer rund 400 000 Königspinguine. / Bild: © Yvonne Beck
Die Könige unter den Frackträgern finden auch im dicksten Gewühl ihre Kinder allein an der Stimme wieder. / Bild: © Yvonne Beck

Verlassene Walfangstationen
Auf Jagdstationen in der Antarktis schlachteten Walfänger Anfang des 20. Jahrhunderts Zehntausende Wale. Hier schlug einst das Herz eines ganzen Industriezweiges. Auf unserer Reise kommen wir an einigen ehemaligen Standorten vorbei. In der Cumberland Bay liegt die alte Walverarbeitungsstation Grytviken, bei der wir an Land gehen. Fast 60 Jahre lang war die Walfangstation in Betrieb und überstand zwei Weltkriege und eine Weltwirtschaftskrise. Ihr fielen 54.100 Wale zum Opfer aus denen 455.000 Tonnen Waltran und 190.000 Tonnen Fleisch gewonnen wurden. Profitgier rottete viele Walarten fast vollständig aus. Ob sich der Walbestand jemals erholen wird, ist fragwürdig und stimmt uns nachdenklich. Heute ist Grytviken eine Geisterstadt mit verrosteten Kesseln und zerfallenden Häusern. Nach und nach hat die Natur sich die Stadt zurückerobert, und Seeelefanten liegen auf unbedarft auf den alten, brüchigen Holzpiers. Für sie scheint die Welt hier wieder in Ordnung zu sein. In Grytviken befindet sich zudem das Grab des Polarforschers Sir Ernest Shackelton, der auf Wunsch seiner Frau hier seine letzte Ruhestätte fand, nachdem er 1922 an Bord der «Quest» an Herzversagen in der Bucht von Grytviken starb. Ihn zog es immer wieder trotz widrigster Umstände zurück auf den weissen Kontinent. Was wir nach unserer Reise nur allzu gut nachvollziehen können.

Der Polarforscher Ernest Shackelton
Gemeinsam mit Robert Falcon beteiligte sich Ernest Shackelton bereits im Jahre 1901 an der «National Antarctic Expedition», bei der man versuchte, den Südpol mit dem Schlitten zu erreichen. 770 Kilometer vor dem Ziel musste man jedoch umkehren. Trotz der schweren Skorbut-Krankheit war Shackelton von da an vom antarktischen Virus befallen. Bereits 1907 leitete er seine erste eigene Expedition, die «Nimrod Expedition», wiederum war der Südpol sein Ziel, wiederum scheiterte er nur 180 Kilometer vor dem Ziel. Doch Shackelton gab nicht auf, nachdem Amundsen 1911 als erster Mensch den Südpol erreicht hatte, strebte Shackelton eine andere Pionierleistung an: Er wollte die Antarktis überqueren. Auch dieses Vorhaben scheiterte, aber Shakelton erwarb sich den Ruf eines verantwortungsbewussten Expeditionsleiters, der in schwierigen Situationen stets umsichtig handelte und alles daransetzte, seine Männer heil wieder nach Hause zurückzubringen.

Unsere Reise endete nach fast drei Wochen und 3.847 Seemeilen. Eine Reise, die in einer der südlichsten Städte der Erde begann und auch dort wieder endet. Der Abschied fällt nicht leicht, und man beneidet die neuen Passagiere, die in Ushuaia nach uns an Bord gehen dürfen. Sie haben dieses einzigartige Erlebnis noch vor sich. Wir werden unsere Expeditionskreuzfahrt zum «Kontinent des eisigen Südens», wie der deutsche Polarforscher Erich von Drygalski die Antarktis einmal genannt hat, jedoch für ewig in unserem Herzen tragen. Und wer weiss, vielleicht dürfen wir uns diese Lebensreise noch ein zweites Mal erfüllen. Denn jede Reise durch die Antarktis ist einzigartig, und man weiss nie hundertprozentig, wohin die Reise genau führt.

«Seit meiner Kindheit träume ich davon, den Nordpol zu erreichen,
nun stehe ich auf dem Südpol.»

Roald Amundsen