Sanatorium, Lazarett und Militärkrankenhaus. Nicht nur Tausende lungenkranke Berliner, sondern auch Hitler, Honecker und Putin liessen sich hier behandeln.

Berlin um 1890: In der deutschen Metropole stirbt jeder Dritte an Tuberkulose. Und es gibt kaum Hilfe. Obwohl Robert Koch bereits 1882 den Erreger identifiziert hat, sind zunächst keine wirksamen Medikamente vorhanden. Heilung, so glaubt man, könne allein Ruhe, frische Luft und gesundes Essen bringen.

Schwindsucht, die tödliche Seuche
Besonders in Grossstädten mit feuchten, ungeheizten Wohnungen wütet die Seuche. Die in den Mietskasernen zusammengepferchten Arbeiter und Tagelöhner sind dem Schattendasein der industriellen Revolution hilflos ausgeliefert. Ärzte schicken wohlhabendere TBC-Patienten zur Genesung in den Süden – in die Schweiz oder nach Italien. Für die ärmere Bevölkerung ist dies jedoch unbezahlbar.

Ende des 19. Jahrhunderts macht die Medizin, gerade in Bezug auf die Behandlung von Lungentuberkulose, gute Erfahrungen mit Kuraufenthalten an Orten mit sauberer Luft. Die Waldgebiete rund um Beelitz, etwa 50 Kilometer von der Berliner Innenstadt entfernt, erscheinen als äusserst passend. Ruhig und windgeschützt inmitten der ausgedehnten brandenburgischen Wälder bietet das Areal in Beelitz mit seiner rauch- und staubfreien Luft ideale Voraussetzungen für die Versorgung der Grossstadtpatienten. Die Idee, im Osten Deutschlands eine Lungenheilanstalt aufzubauen, ist absolutes Neuland, rettet aber Tausenden Arbeitern das Leben. Rund 60 Heilanstalten entstehen damals allein in Deutschland, doch auf dem circa 200 Hektar grossen Gelände in Beelitz erbauen die Architekten Heino Schmieden und Julius Boethke den damals grössten und modernsten Heilstätten-Komplex Europas. Die Gesamtanlage gilt als mustergültig für den medizinischen und sozialen Stand zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Liegekuren und frische Luft
Die Heilstätten sind nach damals modernsten medizinischen Erkenntnissen gebaut und so konzipiert, sodass sie sich autark versorgen konnten. In Beelitz übernimmt das erste Fernheizkraftwerk Deutschlands die Strom- und Wärmeversorgung des gesamten Areals. Die Fernwärmerohre zu den einzelnen Gebäuden verlaufen in einem kilometerlangen Schachtsystem unter den Gehwegen und sorgen dafür, dass die Wege auch im Winter eisfrei bleiben. Mehrere Gärten sowie eine hauseigene Grossschlachterei für Tiere aus der Region stellen die Ernährung von Patienten und Ärzten sicher. Eine Sensation ist zudem die erste Klimaanlage, die saubere Luft aus dem Wald über Rohre direkt in die Krankenzimmer pustet. Im Erdgeschoss der Pavillons befinden sich Wirtschaftsräume, Patienten-Aufenthaltsräume sowie Besuchszimmer. Im Dachgeschoss sind Bedienstetenwohnungen eingerichtet und unter dem obligatorischen Dachturm ist Platz für einen grossen Wasserbehälter, der per Druck die Wasserversorgung im Pavillon aufrechterhält.

Vor den Pavillons (ein Pavillon hatte eine Kapazität von etwa 300 Betten, die Kranken waren in Zwei- oder Vierbettzimmern untergebracht.) befinden sich Liegehallen, denn zur Tuberkulosebehandlung der damaligen Zeit gehört die sogenannte «Liegekur», das stille Liegen an frischer Luft. Dafür werden Liegehallen mit einer Länge von 250 bis 350 Metern errichtet. Auf einer Postkarte vom Januar 1912 schreibt ein Patient namens Emil seinem Bruder von der «Sommerfrische in Beelitz»: «Es ist ein angenehmes Gefühl, jetzt bei 15 Grad Kälte täglich sechs Stunden im Freien zu liegen. Jeder kann es kaum erwarten, dass er den «Vorwärts» in die Hände bekommt, hoffentlich gelingt es diesmal, unsere Partei im Reichstag zu mustern» – ein Hinweis darauf, dass unter den Patienten viele Sozialdemokraten waren.

Unter dem Zepter des Militärs
Zwischen der Eröffnung der Heilstätten 1902 und dem Jahr 1926 werden 66.445 Männer, 43.953 Frauen und 6.559 Kinder als Patienten aufgenommen. Oberstes Ziel der Behandlung in den Heilstätten sind die «Verhütung von Invalidität» und die «Wiederherstellung von Erwerbsfähigkeit» der Kranken. Kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges, am 3. August 1914, werden jedoch alle transportfähigen Patienten aus den Heilstätten entlassen, da das Klinikgelände zum Vereinslazarett des Roten Kreuzes wird. In der Kriegszeit stehen 1.525 Betten zur Verfügung, 12.586 Soldaten werden verpflegt, darunter auch der damals noch unbekannte Gefreite Adolf Hitler. An der Westfront wurde Hitler von einem Granatsplitter getroffen. Mehrere Wochen kuriert er sich in Beelitz aus. «Welcher Wandel!», schreibt er später begeistert. «Vom Schlamm der Schlacht in die weissen Betten dieses Wunderbaus! Man wagte ja anfangs kaum, sich richtig hineinzulegen.»

Geführte Touren
Wer sich die Ruinen anschauen möchte, kann das seit zwei Jahren auch von oben tun: Ein Baumkronenpfad in 23 Metern Höhe führt über das Gelände. Die Tour beinhaltet zudem auch die Besichtigung des ehemaligen Badesaals und eines Patientenzimmers im Chirurgie-Pavillon. Es wird ausdrücklich davor gewarnt, die Heilstätten auf eigene Faust zu erkunden. Die alten Gebäude sind sehr marode und bergen viele Gefahren.

Erst 1920 wird aus dem Lazarett wieder eine Lungenheilstätte. Insgesamt wird die Anlage jedoch nicht einmal 30 Jahre als Heilstätte für Tuberkulosepatienten genutzt, denn auch im Zweiten Weltkrieg dient sie als Lazarett für verletzte Soldaten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in dem die Heilstätten teils schwer beschädigt wurden, wird das Gelände von der Roten Armee 1945 übernommen. Die Heilstätten dienen bis 1994 als das grösste Militärhospital der sowjetischen Armee ausserhalb der Sowjetunion. Neben Bürgern der DDR werden im Hospital auch Sowjets aus Polen oder der damaligen Tschechoslowakei behandelt, auch der damalige KGB-Mitarbeiter Wladimir Putin ist in den Heilstätten Patient. Die letzten Prominenten, die sich in Beelitz aufhalten, sind im April 1990 der gestürzte DDR-Staatschef Erich Honecker und seine Frau. Das Paar lebt in einer der Arztvillen, bewacht von Soldaten der Roten Armee. In Beelitz findet der an Leberkrebs erkrankte Honecker für fast ein Jahr Zuflucht, bevor er mit seiner Frau Margot im März 1991 nach Moskau ausgeflogen wird.

Zauber des Verfalls
Nach dem Abzug der Sowjets 1994 beginnt der dramatische Verfall der ehemaligen Heilstätten. Manche finden diesen durchaus anziehend, wie der Filmregisseur Roman Polanski etwa, der einige Szenen aus «Der Pianist» hier dreht. Die Buntglasfenster sind zerbrochen, Putz bröckelt von den prächtigen Fassaden, Staub sammelt sich in den verschwenderisch breiten Gängen. Diebe klauen das wertvolle Buntmetall von den Dächern. Das Areal wird zur Ruinen-Landschaft, aber etliche Gebäude stehen noch – vom Heizkraftwerk bis zur Liegekur-Halle. Sogar die alten Operationssäle, einst mit modernster Technik ausgestattet, sind von aussen noch zu sehen. Die Überbleibsel der einst modernsten Klinik der Welt sehen aus wie Kulissen aus einem Gruselfilm. In einem blau gekachelten Raum steht ein rostiges Bett, über dem der Rest einer OP-Lampe hängt. In einem anderen liegt eine Badewanne. Pflanzen ranken durch geborstene Fenster und auf einigen der 60 Gebäude wachsen Bäume.

Beelitz Heilstätten ist heute das grösste und sicherlich eines der spannendsten Denkmäler in Brandenburg. Lungenkranke gibt es in den Heilstätten nicht mehr, dafür jedoch Wohnungen für Kreativschaffende. Nach und nach soll das gesamte Gebiet saniert werden. 27 Atelierwohnungen beherbergt allein der historische Pavillon. Bis 2028 sollen 750 weitere Wohneinheiten entstehen. Wer also noch etwas vom morbiden Charme dieses Lost Places erleben will, sollte sich beeilen.