Korsika, das Gebirge im Meer, ist für seine hohen Berge, sein klares Wasser und den unverwechselbaren Duft der Macchia bekannt. Entschleunigung pur bietet ein kleiner Bummelzug zwischen den reizvollen Küstenstädtchen in einer unvergesslichen Landschaft.

Text: Franziska Köhl
«Wer einmal auf Korsika war, wird immer wiederkehren, denn Korsika zieht dich in seinen Bann und lässt dich nie mehr los.» Mit diesen Worten begrüsst mich mein Guide, als ich zum ersten Mal die französische Insel im Mittelmeer betrete. Damals dachte ich mir noch: «Ja, schon nett hier, aber es gibt noch so viel anderes auf der Welt zu entdecken.» Doch sag niemals nie. Heute weiss ich: Korsika hat mein Herz berührt und es für sich gefangen genommen. Ich habe mich in diesen Flecken Erde mit seiner Wildheit und gleichzeitig Sanftheit, mit seinen vielen Bergen und seinem türkisfarbenen Meer verliebt. Zwischen gemütlichen Bars und kleinen, verwinkelten Gässchen, in der Abenddämmerung in einsamen Buchten, im weichen Licht des Sonnenaufgangs – irgendwo hier hat ein Stück meines Herzens beschlossen, für immer zu verweilen.

Ich kann dich gut riechen …
Korsika gehört mit seinen rund 320.000 Einwohnern politisch zu Frankreich. Emotional sind die Korsen allerdings mit Kultur und Sprache absolut eigenständig. Die Insel besteht zu grossen Teilen aus einem Hochgebirge und ist nach Sizilien, Sardinien und Zypern die viertgrösste und gleichzeitig gebirgigste Mittelmeerinsel. Etwa 86 Prozent der Insel sind Bergland und nur 14 Prozent Küstentiefland mit pittoresken Stränden, Buchten und Felsküsten. Trotz der vielen Berge ist es hier jedoch keineswegs karg. Die Landschaft leuchtet das ganze Jahr hindurch in wunderbaren grünen Farben. Rund die Hälfte der Insel ist mit einem Buschwald, der Macchie oder auf korsisch «Macchia», bedeckt. Der intensive Duft legt sich vor allem während der Blüte im Frühjahr über die gesamte Insel – sogar direkt am Meer. Kein Wunder meinte der Korse Napoléon Bonaparte, seine Heimatinsel alleine am Geruch erkennen zu können. Und auch mir geht es so: Die unverwechselbare Duftmischung aus Myrthe, Immortelle, Mastix, Lavendel, Zistrose, Ginster, Baumheide und Erdbeerbaum werde ich niemals mehr vergessen!
«Meine Heimat würde ich blind erkennen, nur an ihren Gerüchen.»
(Napoleon Bonaparte)
Karibisch-mediterranes Flair in L’Île Rousse
An der Nordküste der Insel liegt die Hafenstadt L’Île Rousse, oder Ìsola Rossa, wie sie auf korsisch genannt wird. Der Name stammt von den rot gefärbten Porphyrfelsen vor der Hafeneinfahrt, der sogenannten Île de la Pietra. Schon zu Zeiten der Römer war diese Gegend besiedelt. Während der kurzen Ära der Korsischen Republik wurde das einstige Fischerdorf 1759 von Pascal Paoli zum Handelshafen mit einer Stadtbefestigung ausgebaut, um einen korsischen Hafen gegenüber dem damals noch genuesischen Calvi zu schaffen. Heute ist L’Île Rousse vor allem ein charmanter Ferienort. Hinter jeder Ecke gibt es Strassencafés, kleine Läden, Bars und Restaurants zu entdecken. Auf den Strassen der Altstadt wird im Sommer bis in die Nacht hinein gefeiert. Wer vormittags kommt, kann in der renovierten historischen Markthalle frisches Gemüse aus den Gärten und Feldern der Balagne erstehen. Am besten man lässt sich einfach treiben und macht es wie die Korsen, die Seele baumeln lassen, das korsische Nationalgetränk «Pietra» – ein Bier gebraut aus Malz und Kastanienmehl – geniessen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.

Semper fidelis
24 Kilometer südlich von L’Île Rousse liegt die Küstenstadt Calvi, die schon von Weitem durch ihre grosse und unverwechselbare Zitadelle erkennbar ist. Mit ihren heute knapp 5300 Einwohnern blickt das Städtchen auf eine bewegte Geschichte zurück, denn bereits in der Antike gab es hier Besiedlungen. Nach turbulenten Zeiten mit wechselnder Herrschaft im Mittelalter fiel Calvi in den Einflussbereich von Genua. So gehörte das Städtchen jahrhundertelang zur Seerepublik Genua und wehrte sich gar lange Zeit gegen die korsische Unabhängigkeit. «Civitas Calvi semper fidelis» («Die Stadt Calvi ist immer treu») findet man noch heute im Stadtwappen über dem Torbogen der Zitadelle, aber auch auf den städtischen Autos und Mülltonnen. Heute kann man in Calvi gemütlich an der Hafenpromenade entlangschlendern, am sechs Kilometer langen, flach abfallenden Sandstrand mit Blick auf die Altstadt baden oder die kleinen, sehr liebevoll eingerichteten Restaurants und Delikatessenläden, in denen die berühmten Fleisch- und Wurstwaren der halbwilden Schweine von der Decke hängen, entdecken und geniessen. Ein krasser Gegensatz zu den dunklen, ruhigen und engen Gassen der Oberstadt ist die lebendige, bunte Unterstadt von Calvi. Auf der Quai Landry und der Rue Georges Clemenceau tobt das pure Leben – und das nicht nur im Sommer! Calvi ist zudem der perfekte Ausgangspunkt für Ausflüge in die Belagne, wie beispielsweise eine Schiffstour zum UNESCO-Weltnaturerbe «Halbinsel La Scandola» oder eine Wanderung um die Halbinsel Revellata bis zum Leuchtturm. Für ambitionierte Wanderer ist eine Tour auf den Hausberg Calvis, die 703 Meter hohe Capu di a Veta mit einem anschliessenden Abstecher zur Madonna de la Sierra, die ihre Hände schützend über der Stadt ausbreitet und über diese wacht, das perfekte Vormittagsprogramm, bevor es nachmittags zum Entspannen an den Strand geht.

Nicht zuletzt wegen dieser Vielfalt ist Korsika und im Speziellen Calvi zu meinem Herzensort geworden, zu dem ich ganz bestimmt noch viele Male zurückkehren werde! Denn auch ich bin «semper fidelis!» – zumindest was Korsika angeht.

Kleiner Tipp
Von Bucht zu Bucht mit dem Train de Plages: Bis zu sieben Mal täglich verbindet der korsische TGV – «Train à grande vibration», wie er liebevoll von den Einheimischen genannt wird – die beiden Städte Calvi und L’Île Rousse. Direkt am Meer entlang tuckert der kleine Zug durch die Landschaft, stets die bis zu 2700 Meter hohen Berge zur einen und die verträumten Badebuchten mit türkisblauem Meer zur anderen Seite. Die Hauptstrecke von Bastia nach Ajaccio verbindet den Nordosten mit dem Südwesten. Auf knapp 158 Kilometern passiert man 40 Tunnel sowie ein 140 Meter langes und 80 Meter hohes Viadukt, dessen Entwurf von keinem Geringeren als Gustave Eiffel stammt. Die zweite Strecke ist mit 73 Kilometern deutlich kürzer. Sie führt ebenfalls von Bastia über den Knotenpunkt Ponte Leccia ins nordwestliche Calvi. Hier geht es zunächst durch das korsische Hochgebirge bis nach L’Île Rousse, von wo die beliebte Küstenstrecke startet, die auch als «Tramway de la Belagne» bekannt ist. Achtung: Nur auf Verlangen per Knopfdruck hält die Bahn an wenigen offiziellen Haltestellen der Strecke. Von hier aus gelangt man an wunderschöne, fast menschenleere Strände.
