Die Literatur liegt den Franzosen besonders am Herzen. Sie ist wichtiger Teil ihres Selbstverständnisses. Paris war und ist das Herz der französischen Kulturszene.

 

Text: Yvonne Beck

Paris war schon immer die Stadt der Schriftsteller. In den 1920er Jahren erlebte die Stadt den grössten Zustrom an ausländischen Schriftstellern, allen voran die Amerikaner. Viele glauben, Paris habe Berühmtheiten wie F. Scott Fitzgerald oder Ernest Hemingway angezogen, weil es liberaler und weniger moralisch war als andere Städt. Doch es gab noch andere Gründe: Paris war preiswert, vor allem das linke Seine-Ufer. Und in Frankreich konnte man – anders als im Amerika der Prohibitionszeit – so viel Alkohol trinken, wie das Herz begehrte.

Die Frauen von Paris
Für Colette war Paris die «Stadt der Liebe», und Janet Flanner glaubte, dass die Seine Paris ein spezielles Flair verleihe, das sie zu «einer der reizendsten Städte mache, die es noch auf der Erde gibt». Es war das linke Seine-Ufer – genannt Left Bank – das Adrienne Monnier, Djuna Barnes, Gertrude Stein und viele mehr anlockte und viele Jahre nicht losliess. Viele Frauen, die in den unterschiedlichsten künstlerischen Bereichen tätig waren, und Frauen, die sich für Kunst und Literatur begeisterten, zog es zur Left Bank. Sie kamen aus verschiedenen Gegenden Frankreichs, aus Berlin, New York, Chicago, London und Kalifornien und prägten zum grossen Teil das kulturelle Bild der Zwanziger Jahre in Paris.

Buchladen Shakespeare & Company Paris
Silvia Beachs Buchladen Shakespeare & Company Paris / Bild: Shutterstock

Im Quartier Latin in der Rue de l’ Odéon Nummer 12 – gleich gegenüber der Statue Georges Danton–befand sich ursprünglich der Buchladen Shakespeare & Company, dessen Gründerin und Inhaberin Sylvia Beach Bücher an Hemingway verlieh und 1922 für James Joyce den «Ulysses» redigierte, abtippte und verlegte. Der Buchladen wurde während der deutschen Besatzung geschlossen, weil sich Sylvia Beach weigerte, ihr letztes Exemplar von Joyces «Finnegans Nachtwache» an einen Nazioffizier zu verkaufen. Heute liegt der Nachfolger der berühmtesten englischsprachigen Buchhandlung von Paris in der Rue de la Bûcherie und hält eine bunte Sammlung neuer und alter antiquarischer Bücher bereit. Es ist herrlich, dort zu stöbern: einfach ein Buch aussuchen und darin schmökern. Die Lesetipps der Angestellten sind immer interessant, und im ersten Stock befindet sich eine eingestaubte Bibliothek.

Rund um die Rue de Vaugirard unweit des Original-Shakespeare & Company lebten viele Mitglieder der sogenannten «lost generation». William Faulkner wohnte im Haus Nummer 42, in dem sich heute das todschicke Hotel Luxembourg Parc befindet. Hemingway verbrachte seine letzten Jahre in Paris in einer ziemlich noblen Wohnung in der Rue Férou Nummer 6 – in Wurfweite (ein passendes Wort, da sie zu dieser Zeit schon mächtig zerstritten waren) zur Rue de Fleurus Nummer 27. Dort wohnte nämlich die amerikanische Schriftstellerin Gertrude Stein 35 Jahre lang, zuerst mit ihrem Bruder Leo und dann mit ihrer Lebensgefährtin Alice B. Toklas. Stein empfing in ihrem Salon Koryphäen wie Matisse, Picasso, Braque, Gauguin, Pound und natürlich den jungen Hemingway. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser prachtvolle Belle-Époque-Wohnblock noch keine zehn Jahre alt war, als Gertrude Stein 1903 hierher zog.

Gertrude Stein und Alice B. Toklas.
Gertrude Stein und Alice B. Toklas. / Bild: The Red List

Quartier Latin
Im gesamten Quartier Latin findet man Spuren berühmter Schriftsteller und grosser Geister des kulturellen Pariser Lebens. So befindet sich gegenüber der romanischen Kirche «Église St-Germain des Prés» das «Les Deux Magots» und ein Stückchen dahinter das «Café de Flore», beides beliebte Treffpunkte der Pariser Intellektuellen der Nachkriegszeit wie Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Auch Pablo Picasso und Albert Camus haben in dem Art-déco-Denkmal des «Café de Flore», mit seinen rot gepolsterten Bänken und Marmorwänden, so manche Stunde verbracht. Das Literatencafé «Les Deux Magots» besteht bereits seit 1914 und zählt zu seinen ehemaligen Stammgästen Hemingway und André Breton. Heute bevölkern die Terrasse Prominente, pensionierte Philosophen und vornehme ältere Herrschaften, die in Gedanken alten Zeiten nachhängen. Etwas weiter nordöstlich befindet sich die Rue des Beaux-Arts. Haus Nummer 13, heute schlicht «L’Hôtel» genannt, ist das einstige «Hôtel d’Alsace», in welchem Oscar Wilde 1900 an Hirnhautentzündung starb – nachdem er noch in typischer Manier gespottet hatte, zwischen ihm und der Tapete seines Zimmers tobe ein Zweikampf auf Leben und Tod. Auch der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges wohnte in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren oft in diesem Hotel.

Blick auf das Quartier Latin / Bild: Shutterstock

Die letzte Ruhestätte
Exzentrisch und messerscharf, so wirkte Oscar Wilde selbst auf seinem Hotel-Totenbett noch, als er verkündet: «Entweder geht diese scheussliche Tapete – oder ich.» Der irische Dramatiker, der 1895 wegen seiner Beziehung zu Lord Alfred «Bosie» Douglas  zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, liegt heute auf dem Friedhof Père Lachaise, wo Bewunderer sein hübsch verziertes Grabmal mit Lippenstiftküssen bedecken.

Oscar Wild Grab Paris
Oscar Wilds Grab auf dem Friedhof Père Lachaise  / Bild: Shutterstock
Oscar Wilds Grab auf dem Friedhof Père Lachaise ist inzwischen mit einer Glasscheibe geschützt. Der Lippenstift griff das Grabmal zu sehr an. / Bild: Shutterstock

Doch der Schriftsteller Wilde ist nicht die einzige Berühmtheit, die den Friedhof zu einer der meistbesuchten Ruhestätten der Welt machen. 800 000 Personen liegen hier begraben, darunter Chopin, Molière, Balzac, Proust, Gertrude Stein und Colette, aber auch Edith Piaf, Isadora Duncan, Sarah Bernhardt, Yves Montand und der Maler Modigliani, um nur einige zu nennen. Die 69 000 bisweilen prahlerischen Gräber der Reichen und Berühmten bilden einen grünen Skulpturengarten von 44 Hektar Grösse. Doch auf dem Cimetière du Père Lachaise geht es nicht immer beschaulich zu. Am Grab des Sängers Jim Morrison musste unlängst ein Wachposten aufgestellt werden, nachdem Fans sich angewöhnt hatten, auf seinem Grabstein Drogen zu konsumieren und sich Sexorgien hinzugeben. Inzwischen hat die Friedhofsverwaltung sogar Handzettel mit Regeln drucken lassen, die beim Besuch des Grabes zu beachten sind. Doch Unruhe hat auf dem Friedhof eine gewisse Tradition: In der Nacht des 27. Mai 1871 lieferten sich die letzten Aufständischen der Pariser Kommune zwischen den Gräbern ein aussichtsloses Gefecht mit überlegenen Regierungstruppen. Am Morgen wurden die 147 Überlebenden an die Mur des Fédérés gestellt, erschossen und im Südosten des Friedhofs verscharrt.

Grab des Sängers Jim Morrison
Grab des Sängers Jim Morrison / Bild: Shutterstock

In der Division 92 haben unterdessen Frauenproteste dazu geführt, dass der Metallzaun um das Grab von Victor Noir, Pseudonym des Journalisten Yvan Salmon, wieder entfernt wurde. Der Journalist war gerade 22 Jahre alt, als er von Pierre Bonaparte, dem Grossneffen Napoleons, erschossen wurde. Die Frauenproteste gegen die Abzäunung hatten allerdings nichts mit Meinungsfreiheit oder ähnlich hehren Zielen zu tun. Vielmehr munkelt man, dass eine Frau, die den prallen Schritt des Monsieur-Noir-Bronzebildnisses streichelt, ein erfülltes Liebesleben haben oder schwanger wird. Offenbar haben sich zu viele Frauen nach Mutterschaft und Liebesnächten gesehnt, denn die Bronzestatue nahm Schaden – weshalb der schützende Zaun errichtet wurde. So steckt der Friedhof Père Lachaise voller Geschichten, Tragödien und Sehenswürdigkeiten, und es empfiehlt sich, im Büro des Denkmalpflegeamts vor dem Besuch einen Plan zu beziehen.

Kathedrale Notre-Dame de Paris
Auf dem Dach der Kathedrale Notre-Dame de Paris / Bild: shutterstock

Der Glöckner von Notre Dame
Im 19. Jahrhundert wurde Victor Hugo für seine Gedichte und Dramen ebenso berühmt wie für seine Romane. Er wohnte an der Place des Vosges, bis er im Zuge des Staatsstreichs Louis-Napoleons auf die Kanalinseln ins Exil ging. «Les Misérables» schildert das Leben der Armen am Rande der Pariser Gesellschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Besonders eindrucksvoll ist die 20-seitige Beschreibung der Flucht der Hauptfigur Jean Valjean durch die Abwasserkanäle der Hauptstadt. Weltweit bekannt wurde der Autor jedoch mit der Mittelalterromanze und -tragödie «Der Glöckner von Notre Dame» rund um die berühmte Kathedrale. Sie machte Hugo zur Schlüsselfigur der französischen Romantik. Die Verfilmung des Stoffes mit Gina Lollobrigida und  Anthony Quinn setzte Quasimodo und der schönen Esmeralda abermals ein Denkmal.