Nur wenige Touristen verschlägt es in den Nordwesten Namibias, in die Kunene-Region. Die meisten zieht es von Windhoek aus direkt zum Etosha-Nationalpark oder zu den bekannten Sossusvlei-Dünen. Sie verpassen jedoch eine unvergleichbare Landschaft, die abwechslungsreicher kaum sein kann.
Text: Yvonne Beck
Um es gleich vorwegzunehmen, ich kam von dieser Reise völlig begeistert zurück. Zwar freute ich mich bereits vor der Abreise auf den Kurztrip, doch wohl eher, weil ich froh war, den kalten Schweizer Temperaturen zu entfliehen. Meine Erwartungen an den Nordwesten Namibias waren ansonsten nicht allzu gross. Ein vielfältigeres und grösseres Wildlife als in Botswana konnte ich dort nicht erleben, besseres Essen als in Südafrika bekam ich dort sicherlich auch nicht und die bekannten Dünen in der Namib-Wüste standen erst gar nicht auf unserem Programm.
Doch dann kam alles anders …
Bereits bei unserer Ankunft am Hosea Kutako International Airport in Windhoek schlug uns eine Stimmung entgegen, die es so nur in Afrika gibt. Es ist nicht einfach zu beschreiben, was dieses Gefühl ausmacht, aber sobald man seinen Fuss auf afrikanischen Boden setzt, überkommt viele Menschen eine Art Urheimatsgefühl, als sei man zu seinen eigenen tief verwurzelten Ursprüngen zurückgekehrt. Ob es am Lachen der Bevölkerung liegt, das so herzlich ist, dass man einfach einstimmen muss, oder am Himmel über Afrika, weiss keiner so genau. Es geht jedoch vielen Menschen so, auch denen, die erstmals den südlichen Teil des Kontinents betreten. Und je mehr man die Zivilisation verlässt, desto mehr verfällt man dem Zauber von Mother Africa.

Windhoek kann man jedoch getrost als reinen Landeplatz und Transitstation betrachten. Die Hauptstadt Namibias wirkt im Vergleich zu anderen Metropolen ziemlich provinziell. Die meisten Touristen machen höchstens einen kurzen Stop, um im «Namibian Craft Center», einem Kunsthandwerkszentrum, einige Souvenirs zu erstehen. So machten auch wir nur einen kurzen Stopp, um anschliessend weiter ins Landesinnere vorzudringen.

Per Propellermaschine in die Wildnis
Mit einem Kleinflugzeug flogen wir in das zu Wilderness Safari gehörende Desert Rhino Camp. Bereits der Flug war spektakulär, sobald wir Windhoek und seine Vororte hinter uns gelassen hatten, änderte sich die Natur unter uns, plateauartige Hügel wechselten sich ab mit weiten Ebenen in Braun-, Gelb- oder Rottönen. Nach einem circa anderthalbstündigen Flug landeten wir auf einer Schotterpiste und wurden von einer Herde Zebras begrüsst, welche den Mitreisenden die ersten Entzückungslaute entlockten. Schnell wurden die Fotoapparate ausgepackt und das Klicken der Kameras sollte bis zum Ende unserer Reise ein ständiger Begleiter sein. Unsere erste Nacht verbrachten wir im Desert Rhino Camp im Damaraland im Nordwesten Namibias.

Der Name des Landes im südwestlichen Afrika leitet sich ab von der Wüste Namib – in der Sprache der Nama »ödes Land« –, die das Land lange wirkungsvoll nach aussen abgeriegelt hat. Es gliedert sich von West nach Ost in drei Landschaftsräume: An der Küste erstreckt sich die Wüste Namib. Sie wird im Osten begrenzt durch die Große Randstufe, die steil zu den zentralen Hochländern in 1000 bis 2000m Höhe ansteigt.
Inmitten einer steinigen, minimalistisch-schönen Hügellandschaft entstand das Camp in Zusammenhang mit dem «Save the Rhino Trust», einer Organisation, welche die Aufgabe hat, das Überleben der schwarzen Nashörner zu sichern. In den 80er und 90er Jahren wurde hier sehr viel gewildert, so dass nur noch wenige Exemplare dieser Tiere übrig blieben. Heute ist diese Nashorn-Population wieder die grösste in Afrika ausserhalb eines Nationalparks! Eine stabile Population von etwa dreissig Tieren hält sich in der Umgebung des Camps auf. Wird ein Nashorn gesichtet, wird der Weg zusammen mit einem Guide immer zu Fuss fortgesetzt, um sich den majestätischen Tieren, die aus einer längst vergangenen Zeit entsprungen zu sein scheinen, möglichst unbemerkt zu nähern. Vor einem Nashorn oder auch Elefanten in freier Wildbahn zu stehen, ohne den Schutz des Jeeps, ist ein unvergessliches Erlebnis. Man weiss plötzlich genau, dass das Tier einem weit überlegen ist, und fühlt sich angesichts seiner Grösse und Stärke selbst sehr klein.

Dank der Frischwasser-Quellen in der Umgebung findet man auch eine gute Anzahl Wüstenelefanten, Zebras, Giraffen, Oryx, Springböcke, Kudus und auch Löwen, Geparden und Hyänen. Es kann hier also durchaus auch vorkommen, dass man Löwen in der Nähe brüllen hört. So bot das Camp für uns einen idealen Einstieg in die Natur Namibias. Bereits am ersten Abend lernten wir, wie fragil die Natur doch ist, was der Mensch ihr alles antun kann und wie wichtig es ist, mit ihr zu leben, nicht bloss von ihr.

Die erste Nacht im Zelt
Nachdem wir die erste Nacht im Camp gut überstanden hatten, gingʼs am nächsten Morgen weiter in das circa 5000 Quadratkilometer grosse Palmwag-Konzessionsgebiet. Das Naturschutzgebiet zeichnet sich durch die atemberaubende, von Hügeln und seltenen Pflanzen durchzogene Landschaft sowie die faszinierende Tierwelt aus. Immer mehr entfernten wir uns von der Zivilisation und immer mehr gewöhnten sich unsere zivilisationsmüden Augen an die Schönheit und Kleinigkeiten der Natur. Während man in den ersten Tagen kaum ein Tier von selbst erspähte, erst auf den Hinweis des Guides, gelang es am Ende der Reise einigen Teilnehmern gar, kleine Chamäleons zu entdecken, die gut getarnt auf einer Baumwurzel hockten.
Nach und nach lebte man sich immer mehr ein in die Umgebung. Was ein fast erhebendes Gefühl war. Man lauschte der Stille der Wüstengegenden, und abends am Lagerfeuer registrierte man das leiseste Knacken der Äste. Auf unserer Fahrt durch die Täler und Flussbetten passierten wir felsige Schluchten und fruchtbare Quellen. Springböcke, Oryx, Kudus, Strausse, Schakale, Giraffen und Zebras waren unsere ständigen Begleiter. Unser zweites Nachtlager schlugen wir in der Nähe der Hunkab-Quelle auf.

Während der Guide das Lager herrichtete, genossen wir einen wunderschönen Sundowner, der das ganze Land in ein märchenhaftes Rot tauchte. Genächtigt wurde dieses Mal nicht in fest installierten Hütten, sondern in mobilen Zelten. Zuerst war den meisten von uns ein wenig mulmig. Wie viel Schutz bietet ein solches Zelt? Was mache ich, wenn nachts Tiere um mein Zelt streifen oder ich auf die Toilette muss? Einige Reisende verbrachten diese Nacht etwas unruhig, denn jedes ungewohnte Geräusch liess sie noch hochschrecken. Doch beim Zusammentreffen am Morgen waren sich alle einig: Es ist ein faszinierendes Erlebnis, abseits jeglicher Zivilisation, weit entfernt vom letzten Natelempfang oder von einer Strasse allein in einem Zelt zu schlafen.Nach dem Frühstück wurde auch gleich ein Rundgang um das Camp unternommen, um auszukundschaften, welche Tiere in der Nacht am Lager vorbeigezogen sind. Einige waren etwas enttäuscht, denn sie hätten schwören können, dass direkt vor ihrem Zelt eine Löwenfamilie gebrüllt hätte. Mir selbst reichten die in sicherer Entfernung gefundenen Schakal- und Elefantenspuren aus.
«DARK NIGHT, WARM FIRE, BRIGHT STARS»

Auge in Auge mit Elefanten
Von der Hunkab-Quelle ging es weiter durch das obere Mudorib-Rivier auf der Suche nach Spitzmaulnashörnern und Wüstenelefanten. Der Weg führte durch das trockene Flussbett des Hoanib-Riviers, der gesäumt von riesigen, uralten Akazien ist und darum einen idealen Unterschlupf für Elefanten bietet. Hier schlugen wir unser nächstes Nachtlager auf und hier kamen wir einem Elefanten auf freier Wildbahn so nah wie nie zuvor.

Schon von Weitem sah man ihn angetrottet kommen. Ein junger Elefantenbulle. Ganz gemächlich. Wir waren gerade dabei, uns ein bisschen frisch zu machen und die mobilen Duschen in Beschlag zu nehmen, als eine Mitreisende ihn durch ihr Fernglas erspähte. Auch die Guides griffen zu ihren Ferngläsern, legten diese aber nach kurzer Zeit wieder beiseite und widmeten sich weiter der Zubereitung des Abendessens. Einzige Anweisung ihrerseits: «Bleibt zusammen und in der Nähe der Wagen und redet nicht zu laut.» Gesagt, getan; unser kleines Grüppchen blieb in der Nähe des Jeeps und starrte gebannt Richtung Dickhäuter, der immer näher kam. Längst hatte er uns entdeckt, wahrscheinlich schon, bevor wir ihn entdeckt hatten. Ein bisschen ängstlich überlegten wir uns, was wir machen sollten, wenn er nicht abdrehen würde. In oder unter den Landrover klettern, weglaufen, totstellen? Schmunzelnd erklärte uns unser Guide, dass ein Auto für einen Elefanten kein wirkliches Hindernis darstellt. Ohne Weiteres könne er dieses umkippen, wenn er wolle. Aber warum sollte er wollen? Als der Elefant nur noch ein paar Meter von uns entfernt war, schalteten sich auch unsere Guides endlich ein: «Gaan vorby» – «Geh weiter, hopp!» Und tatsächlich: Der junge Bulle dreht ab, nachdem er durch Kopf- und Ohrenwackeln nochmal kurz seinen Unmut geäussert hat.
«Die Spur des Elefanten verdeckt die Spur der Zwergantilope.»
Wie wir später erfahren, sind Begegnungen dieser Art durchaus nicht ungewöhnlich, für unsere langjährigen Guides sind sie fast alltäglich. Sie kennen die Gesetze der Wildnis, und wer sie befolgt, dem passiert auch nichts. In diesem Fall lautete die Devise einfach: Wir waren zuerst da, geh also weg! Und dieses Gesetz befolgt auch ein tonnenschwerer Elefant.

Trotz dieser spannenden Begegnung und dem Wissen, dass sich der Elefant sicherlich noch in der Nähe aufhält, habe ich in meinem Zelt wie ein Murmeltier geschlafen, denn die Tausenden Eindrücke, die man gesammelt hat, machten müde und sehr zufrieden.

Namibias Nomaden
Am nächsten Tag ging es weiter Richtung Norden. Zunächst entlang des Tsuxub-Riviers, unmittelbar an der östlichen Grenze zum Skelettküstenpark. Ständig wechselte das Landschaftsbild, von satten Flussbetten über Schluchten zu den für Namibia so typischen endlosen Weiten. Und auch wenn sich mal kein Tier sehen liess, wurde es keinen Moment langweilig. Zu überwältigend sind die Landschaften. Nördlich von Sesfontein liegt das 48ʼ982 Quadratkilometer grosse Kaokoveld, das 1993 in die Region Kunene integriert wurde. In den Berggebieten Kaokovelds findet man noch eine sehr ursprüngliche Wildnis, der sich Tier und Mensch angepasst haben. Hier ist auch die Heimat der Himba.

Etwa 15ʼ000 Himba leben als Hirtenvolk im Nordwesten Namibias. Sie leben in Familienclans, relativ autark und über ein grosses Gebiet verstreut. Ihre Bienenkorbhütten bauen sie noch auf traditionelle Weise aus jungen Bäumen und verputzen sie mit einer Mischung aus Lehm und Viehdung. Ihre Existenzgrundlage sind Rinder- und Ziegenherden, mit denen die Männer des Stammes herumziehen. Und so finden auch wir bei einem Besuch einer Himba-Siedlung nur Frauen und Kinder vor. Wie wir von unserem Guide erfahren, verwenden die Frauen täglich viel Zeit für die Schönheitspflege. Sie reiben ihre Haut zum Schutz mit einer Mischung aus Ocker, Butter, verschiedenen Kräutern und Rinden ein. Die Himba nutzen auch «Deos»; dazu dienen ihnen die Zweige des «Parfumstrauches», eines ausgetrocknet aussehenden Buschs. Bricht man jedoch seine Äste ab, verströmt er einen angenehmen, intensiven Duft. Selbst die Parfum-Industrie hat diesen Busch inzwischen für sich entdeckt und kauft den Himba Äste und Zweige ab. Für die Himba hat der Ahnenkult eine grosse Bedeutung im alltäglichen Leben. Das «Okuruo», das heilige Feuer, das niemals erlöschen darf, ist der Mittelpunkt eines jeden Krals. Der Sippenälteste nimmt hier Kontakt mit den Vorfahren auf, bringt Opfer dar, holt sich Rat und Hilfe oder beichtet Fehler und Vergehen. So leben die Himba noch immer nach alten Riten und Gesetzen ihr Leben in der kargen Wildnis. Bleibt zu hoffen, dass mit Fotoapparaten klickende Touristen, die den Himba bei ihren Besuchen T-Shirts, Hosen und Uhren schenken, diese Art zu leben nicht zerstören werden. Und auch wir verlassen sie mit gemischten Gefühlen, einerseits fasziniert, andererseits ein bisschen beschämt, denn auch wir haben unsere Fotoapparate auf sie gerichtet, um ihre uns so fremde Art zu leben festzuhalten.

Trockene Wüstengebiete und der Etosha-Park
Doch unsere Tour führte uns weiter. Von Purros aus gingʼs mit dem Flugzeug in die Serra Cafema Lodge von Wilderness Safari. Doch so sehr man sich wieder auf eine richtige Toilette gefreut hatte, so sehr vermisste selbst der Nicht-Camping-Freund die unglaubliche Nähe zur Natur, die man nur im Zelt empfinden kann. Doch das Sera Cafema Camp machte diesen Wermutstropfen schnell wieder wett. Es ist das abgeschiedenste Camp im gesamten südlichen Afrika. Der Kunene-Fluss ist die einzige Wasserversorgung in diesem Gebiet und erzeugt eine schmale grüne Oase entlang des Ufers, das ansonsten von zerklüfteten Bergen und Sanddünen umgeben ist. Hier befindet sich das trockenste Wüstengebiet der Welt. Eine Fahrt auf dem Kunene bietet einen wunderbaren Kontrast zu den atemberaubenden heissen Sanddünen-Landschaften. Wir machten sogar einen kurzen Ausflug nach Angola auf der anderen Seite des Flusses. Mit einem Gin Tonic in der Hand und die Kunene-Flusskrokodile im Auge genossen wir unseren vorletzten Sundowner.

Unseren letzten Tag in Namibia verbrachten wir im Etosha National Park im Herzen der riesigen Etosha-Pfanne. Sicherlich Namibias bekanntestes Ziel für Safaris, denn es bietet Selbstfahrern Tierbeobachtungsmöglichkeiten par excellence – vor allem im trockenen Südwinter, wenn sich die Tierherden an den Wasserlöchern drängen. Der Park wird jedes Jahr von Zehntausenden Touristen aus Namibia, Südafrika und aus Übersee besucht. Sie können über 110 Säugetierarten entdecken. Auch wir entdeckten einige Tiere, die wir bisher auf unserer Tour nicht gesehen hatten. Allerdings konnten auch diese die Erlebnisse der Tage zuvor nicht mehr toppen.

Erfüllt von Tausenden wunderschönen Eindrücken und Landschaftsmotiven machten wir uns auf den Heimflug. Alle aus der Gruppe waren sich einig – es gibt kaum ein abwechslungsreicheres Land als Namibia. Und für viele von uns war es sicherlich nicht das letzte Mal, dass wir es besucht haben.