Dieses Blau ist einfach nicht von dieser Welt. Kein Wunder, dass man hier die Worte «Glück» und «Zufriedenheit» häufiger als anderswo auf dieser Erde hört. Willkommen im kleinen Paradies – Blumenkränze, Kokosnüsse und Ukulelenklänge inklusive.

Einer der kleinsten und einwohnerärmsten Staaten der Welt liegt mitten im Südpazifik am anderen Ende der Welt. Die 15 Inseln und Atolle der Cook Islands haben nur rund 18.000 Einwohner. Schon der britische Kapitän und Entdecker James Cook kartografierte einige der südlichen Inseln, als er während seiner zweiten Südseereise in diesen Gewässern segelte. «Diese kleinen Teile gehören nicht zur Erde, sie sind davon lösgelöst», soll er bei ihrem Anblick gesagt haben. Kein Wunder, denn die Inseln verteilen sich auf 2,3 Millionen Quadratkilometer. Eine Fläche, die sechsmal so gross ist wie Deutschland. James Cook setzte allerdings nie einen Fuss auf Rarotonga. Doch sicherlich hätte ihn die Hauptinsel des nach ihm benannten Archipels genauso begeistert wie uns. Noch heute ist sie ein kleines Paradies aus Wasser, Bergen und dichten Wäldern. An ihren hohen Bergkämmen sprudeln Wasserfälle durch tropische Regenwälder hinab zu wunderschönen Stränden.

Einmal um die Blumeninsel
Auf Rarotonga beginnt in aller Regel eine Reise auf die Cook Islands, denn sie ist die Einzige der Inseln, die von Australien oder den USA aus direkt angeflogen wird. Auch ich starte meine Reise hier und frage mich beim Verlassen des Flugzeugs, ob sich die lange Anreise wirklich lohnen wird – mit einer Verspätung von zweieinhalb Stunden war ich immerhin über 30 Stunden unterwegs. Doch kaum betrete ich die Vorhalle des Flughafens, ist alle Müdigkeit verschwunden – mit einem herzlichen «Kia Orana, my darling» (was so viel bedeutet wie «Mögest du ein langes und erfülltes Leben führen») und einem frischen Blumenkranz heisst man mich herzlichst willkommen. Auntie Nane umarmt mich wie eine alte Freundin, die nach Hause kommt, obwohl wir uns gerade erst kennengelernt haben. Mit dem Duft der Frangipanis in der Nase und den Klängen der Ukulele im Ohr stimme ich mich ab diesem Zeitpunkt auf den Inselrhythmus ein und tauche in die scheinbare «Leichtigkeit des Seins» der Cookies ein.

Rarotonga ist die am dichtesten besiedelte Insel der Cooks. Sie ist eine typische pazifische Vulkaninsel, deren Gipfel bis auf 600 Meter Höhe emporragen. Wie die meisten der Cook-Inseln, ist auch Rarotonga von dichten Korallenriffen umgeben, die sich perfekt zum Schnorcheln eignen. Schon wenige Meter von der Küste entfernt sind grosse, bunte Fischschwärme zu beobachten. Und wer sich ein bisschen weiter vorwagt, hat die Möglichkeiten, sich mit Meeresschildkröten, riesigen Stachelmakrelen und Dutzenden von Papageienfischen zu messen. Die Insel ist also zweifellos ein perfekter Ort für entspannte tropische Ferien – doch sie ist auch reich an kulturellen Erfahrungen und spannenden Charakteren, die man nicht verpassen sollte. Wie gross oder besser wie klein selbst die Hauptinsel der Cook-Inseln ist, stellt man am besten mit dem Fahrrad fest. Innerhalb von fünf Stunden kann man die Insel bequem umrunden. Auf der Insel gibt es keine Verkehrsampeln und nur eine Strasse, die rund um die Insel führt. Die Busse verkehren im Halbstundentakt im Uhrzeiger- oder Gegenuhrzeigersinn und umrunden die Insel in knapp einer Stunde.

Füllige Südsee-Schönheiten
Auntie Nane nimmt mich jedoch erstmal mit auf den Muri Night Market, auf dem sich viermal in der Woche Einheimische und Touristen treffen, um alle Arten von hausgemachten Speisen und Desserts zu probieren. Preiswert, fröhlich und voller Insel-Gastfreundschaft bieten die Händler an familiengeführten Ständen eine Fülle an kulinarischen Köstlichkeiten. Und da Auntie Nane heute keine Lust mehr hat zu kochen, hat sie gleich ihre alte Schwiegermutter im Schlepptau und nimmt für ihren Mann noch eine Take-away-Portion mit. Was die lokale Küche so einzigartig macht, ist ihre Frische. Frische Meeresfrüchte direkt aus dem Meer, Kokosnuss direkt vom Baum, Gemüse und Obst aus dem eigenen Garten – auf den Cooks wächst fast alles, was man zum Leben braucht. Noch heute werden Brotfrucht, Taro, Bananen, Jams, Maniok, Orangen, Ananas und Kokosnüsse angebaut. Fischfang dient den Einwohnern vor allem zur Eigenversorgung. Ich entdecke auf dem Markt mein neues Lieblingsgericht: «ika mata», ein roher Fischsalat, eine Art Cheviche, zubereitet mit Weissfisch, Zwiebeln, Tomaten, Gurken, Paprika und Kokosnusscreme. Jede Familie hat ihr eigenes Rezept – fast immer schmeckt es höllisch gut.

Die Inselbewohner lieben ihr Essen – und jede Menge davon, was sie, um Auntie Nane zu zitieren, «besonders reich macht» – «körperreich». Genuss wird grossgeschrieben, und da die luftigen Kleider nicht auf den Bauch drücken, kann man sich auch ruhig noch einen zweiten Nachtisch gönnen. Dies trägt sicher nicht zu Modelmassen bei, scheint aber glücklich zu machen, denn schon lange habe ich kein so herzhaftes Lachen mehr gehört wie das von Auntie Nane. Da ich selbst etwas mehr Kilos auf die Waage bringe, erlaube ich mir die Frage, wie es kommt, dass es so viele üppige Insulaner gibt, obwohl man doch viel Fisch und viel frisches Obst esse. Auntie Nane erklärt mir, dass es eine Mischung aus Veranlagung, Kultur und Kokosmilch sei. Aber vor allem ein Problem der letzten 30 Jahre, da inzwischen zu viel raffiniertes Öl verwendet werde. Zudem seien die Cookies einfach kleine Schleckermäuler. Mir fällt auf, dass meine Vorstellung von Schönheit auf dieser Insel ein anderes Ideal entwickelt. Auf den Cook Islands sehe ich überall kräftige Fesseln, breite Becken und fleischige Oberkörper – trotzdem würde ich niemanden zu «The Biggest Loser» (der Abspeck-Fernseh-Show) schicken wollen. Die Menschen hier strahlen von innen heraus und das Sprichwort «Wahre Schönheit kommt von innen» bekommt eine ganz neue Bedeutung. Dies bedeutet aber keineswegs, dass man auf den Cook Islands uneitel wäre. Ganz im Gegenteil! Stolz tragen die Frauen ihre dicken Blumenkränze zur Schau oder die Herren der Schöpfung zeigen ihre Tattoos.



Das Erbe der Missionare
Am nächsten Abend darf ich noch tiefer in die Töpfe der Cook Islands schauen, da ich an einer progressiven Dinner-Tour teilnehme. Für 90 NZD pro Person geniesst man Hauptgericht und Nachspeise in den Häusern von drei einheimischen Familien. Serviert werden liebevoll zubereitete Gerichte wie Ika Mata, Curry-Papayasalat, knusprige Taro-Chips, Rukau aus den Blättern der Taropflanze und Kokosnuss-Pudding. Zudem geben die Gastgeber gerne Einblick in ihr Leben, erzählen die Geschichten ihrer Vorfahren oder verraten die Geheimnisse ihrer Gerichte. Vor jedem Essen spricht der Gastgeber einen kurzen Segen und dankt Gott für seine Gaben. Gesegnet wir viel auf den Cook Islands, denn die Einheimischen sind sehr religiös. Allein entlang der 32 Kilometer langen Ringstrasse reihen sich Dutzende Kirchen. Sonntagsvormittags trifft man sich hier zum Gottesdienst. Und auch wer sonst nicht zu den eifrigen Kirchgängern zählt sollte sich den Besuch eines Gottesdienstes auf den Cook Islands nicht entgehen lassen. Auch Auntie Nane ist sehr gläubig und tief in ihrer Gemeinde verwurzelt, und so nimmt sie mich mit in ihre Kirche. Was mich erwartet ist mit keinem der mir bisher bekannten Gottesdienste zu vergleichen.

Alle Cookies tragen weisse Kleidung. Die Frauen haben frische, bunte Blumenkränze im Haar oder tragen Hüte. Es wird getanzt, gelacht und gesungen. Der Gesang ist bühnenreif und alle stimmen ein. Kinder laufen herum, und immer wieder wechselt man seinen Platz, da man ein anderes bekanntes Gesicht entdeckt hat und schnell mal «Hallo» sagen will. Andere filmen mit dem Handy und lassen so die kranke Grossmutter zuhause an der Messe teilhaben. Nach dem Gottesdienst geben sich alle die Hände und der Pfarrer bittet zum Essen ins Gemeindezentrum. Jeder bringt etwas mit, ob Papaya, Mango, Huhn oder allerhand Wurzelgemüse – zu feiern gibt es auch immer etwas. Man kocht füreinander, isst miteinander und trägt füreinander Sorge. Auf den Cook Islands wird Familie und Gemeinschaft grossgeschrieben. Und jeder noch so schräge Vogel wird aufgenommen.

Beim Medizinmann
Eine der kuriosesten, aber spannendsten Charaktere der Insel ist Pa – ein Medizinmann mit inzwischen etwas spärlichen Dreadlocks. Wie alt er ist, weiss keiner so genau, auf meine Frage hin antwortet er schelmisch lachend: «Die einzige Frage, die sich zu fragen lohnt, ist, wie jung bist du». So frage ich ihn auch nicht weiter, warum er sich Teeblätter um die Beine bindet, sondern lausche seinen Geschichten, wie er von Raro nach Tahiti schwamm, wie er Hillary Clinton traf und wie er den Vulkanausbruch auf Hawaii stoppte. Manche seiner Geschichten erscheinen mir recht hanebüchen, doch wenn man sich auf ihn einlässt, stellt man schnell fest, wie tief Pa in die Kultur der Cook Islands verwurzelt ist.

Auf 5.000 Cross Island Treks hat Pa sein Wissen über Flora und Fauna in den vergangenen 33 Jahren mit rund 75.000 Menschen geteilt. Inzwischen hat er das Zepter an seinen Neffen Bruce Goldsworthy übergeben und leitet selbst nur noch die ruhigeren Medical Walks, doch auch auf diesen entführt er Besucher in die Mythen und Legenden der Cook Islands. Er kann seine Herkunft 64 Generationen weit zurückverfolgen und kennt jede Pflanze und jedes Kraut auf der Insel – viele davon nutzt er zu Heilzwecken. Den Dschungel Raros nennt er liebevoll «sein Krankenhaus». Hier findet er Mittel gegen juckende Mückenstiche, Koliken und sogar Diabetes. Selbst westliche Ärzte fragen ihn hin und wieder um Rat, wenn sie mit ihrer Schulmedizin am Ende sind. In seinem Garten erntet er die stinkende Noni-Frucht, die er zur Heilung von Gicht verwendet. Die etwa kartoffelgrosse Frucht des indischen Maulbeerbaumes ist in den letzten Jahren zum wahren Exportschlager avanciert, da ihrem Saft heilende Wirkung nachgesagt wird und die Kosmetik sie für sich entdeckt hat. Ich halte jedoch respektvollen Abstand zu ihr, da sie extrem nach ranzigem Käse riecht.

Unterwegs mit dem Storyteller
Ein Storyteller ist auch Jimmy. Mit ihm begebe ich mich am nächsten Tag auf eine Radtour. Jimmy ist ein echtes Raro-Schwergewicht, und man wundert sich, wie leichtfüssig er in die Pedale tritt, ohne dabei ins Schwitzen zu kommen. Er führt mich ins Landesinnere der Insel, das voll ist von Gärten mit niedrigen Häusern, von Bäumen voller Avocados, Sternfrüchten, Guaven und Kokosnüssen. Zwischen riesigen Bananenstauden stehen Schweine und Ziegen, und wilde Hühner laufen herum. Er zeigt mir aber auch die lange verschollen geglaubte Welt der Cook Island Maori. Ab dem Jahr 1500 v. Chr. wurden die Polynesischen Inseln nach und nach durch Maori-Vorfahren besiedelt, die in ihren Vakas (riesigen Doppelhüllen-Kanus) landeten, geleitet nur von den Sternen und ihren berühmten Navigationsfähigkeiten. Ungefähr im Jahr 800 n. Chr. kamen die ersten Polynesier mit Segelbooten von Tupa’i, heute Französisch-Polynesien, nach Rarotonga. Die Menschen auf Cook Island sind stolz auf ihre Vorfahren – auch Jimmy. Tapfere Krieger sind es gewesen, die wussten, wie man im Einklang mit der Natur lebt.

In den frühen Tagen der polynesischen Besiedlung lagen die Dörfer nicht entlang der Küste, sondern in den Bergen von Rarotonga. Dies bot bessere Aussichtspunkte und Schutz vor Feinden. Ein solches Dorf ist das Verlorene Dorf von Maungaroa, das 1983 von einem Nachkommen von Tinomana Ariki, dem obersten Häuptling des Distrikts, ausgegraben wurde. Dort fand man Schätze wie Opferfelsen und Navigationssteine. Doch er berichtet auch von den ersten christlichen Missionaren, die im Jahre 1821 ankamen und das kulturelle Erbe der Cook-Islands-Bewohner mehr und mehr verdrängten. So erklärt mir Jimmy, dass Gesang, Tanz und Trommeln sowie Tattoos nicht mehr erlaubt waren. Zum Glück besinnen sich heute wieder viele Cookies ihrer traditionellen Wurzeln und versuchen, sie mit ihrem christlichen Glauben in Einklang zu bringen. Jimmy trägt dazu bei, indem er die Legenden und Geschichten am Ort des Geschehens inmitten der Natur weitergibt und sie so lebendig hält. Und seien wir mal ehrlich, was wären die Cookies ohne ihre Tänze? Und ohne ihren unverwechselbaren Humor. Die Art und Weise wie Jimmy mit seiner ruhigen Stimme über Rarotonga erzählt, dabei immer ein schelmisches Lachen in den Augen, ist einfach einzigartig.

Der «care-taker»
Einen Tag später verlasse ich Rarotonga, um auf Aitutaki einen anderen echten Cook Islander zu treffen und mehr über das traditionelle Erbe des Inselstaates zu erfahren. Aitutaki liegt etwa eine Flugstunde nördlich von Rarotonga. Wenn Rarotonga im Herzen mit dichtem Regenwald und Vulkangestein gesegnet ist, ist Aitutakis Geschenk eine riesige azurblaue Badewanne mit bunten Fischen darin. Schon beim Anflug sehe ich, dass mich hier eine komplett andere Landschaft erwartet. Innerhalb des Riffs befindet sich eine Lagune, deren glasklares Wasser in allen erdenklichen Blau- und Grüntönen schimmert. Aitutaki ist eine der schönsten Südseeinseln – eine wahre Postkarten-Idylle, die sich zudem noch der besten Tauchgründe rühmt. Über 45 Kilometer erstreckt sich die Lagune in Hunderten von Blau-Türkis-Tönen. Und selbst bei Regen kann ich mich an den Farben kaum sattsehen.


Hier treffe ich mich mit Ngaa Kitai Taria Pureariki. Er stammt von der Insel und hat sie nur zu Studienzwecken verlassen. Zusammen mit dem Archäologen Mark Eddowes führt er auf Aitutaki Ausgrabungen durch und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die traditionelle Kultur der Cook-Inseln wieder ins Bewusstsein zu rufen. Ich kann mich glücklich schätzen, ihn auf Aitutaki anzutreffen, denn inzwischen ist er viel im Ausland unterwegs, um Schätze aus seiner Heimat in den Museen auf der ganzen Welt zu bewundern und seine eigenen Wurzeln noch besser zu verstehen. Viele Grundwerte seiner traditionellen Kultur sind, durch Auswirkungen der Missionierung, in weiten Teilen verloren gegangen. Weil Ngaa jedoch aus einer Familie stammt, deren Mitglieder innerhalb ihrer Gesellschaft über Generationen hinweg die Funktion von «care-takers» innehatten, ist er glücklicherweise in der Lage, noch über sehr viel Wissen zu verfügen, das er gerne mit Interessierten teilt. So erklärt er mir auch geduldig die Bedeutung seiner traditionellen Tätowierung, fährt mit mir zu einer heiligen Stätte der Maori und zeigt, wie man ein traditionelles Umu kocht. Besucher können dieses auf der «Punarei Cultural Village Tour» kennenlernen.
Am letzten Tag meines Cook-Islands-Traums lasse ich einfach die Seele baumeln und gebe mich ganz der Schönheit der Lagune hin. Ein Boot bringt mich zu den menschenleeren Motus mit ihren einsamen, weissen Sand- und Korallenstränden, gesäumt von Kokosnuss-Palmen und dem türkisfarbenen Wasser der Lagune. Ich beobachte die unzähligen, von Einsiedlerkrebsen bewohnten Muschelschalen, entdecke beim Schnorcheln riesige, bunte Muscheln und merke im warmen Wasser gar nicht, dass es angefangen hat zu regnen. Zum Abschluss lasse ich mir ganz touristisch noch einen Stempel von One Foot Island in meinen Pass geben, denn welche einsame Insel – mitten im Paradies – hat schon ein eigenes Postamt?


Fast bereue ich es ein bisschen, dass der Kapitän des Bootes mich nicht auf der Insel vergessen hat, denn die Schönheit dieses Fleckchens Erde braucht den Vergleich mit Tahiti & Co. nicht zu scheuen. Ganz im Gegenteil, die Strände und die Lagune sind einfach atemberaubend – wie fast überall in der Südsee. Das Besondere an Rarotonga & Aitutaki sind jedoch die Begegnungen mit den Menschen wie Aunti Nane, Pa, Jimmy und Ngaa. Und das sind nur vier von circa 18.000 Einwohnern. Es gibt also sehr viele Gründe nochmals wiederzukommen.
