Brian lebt in Nur-Sultan. Er hasst die Stadt. Er hasst das Land. Doch er kann seine Eltern nicht alleine lassen. Er muss sie unterstützen – finanziell und auch seelisch. Er ist ihr einziger Sohn, das einzige Kind, daher richtet sich ihre volle Aufmerksamkeit auf ihn – auch alle Erwartungen und die gesamte Verantwortung. Es ist ungewöhnlich für eine kasachische Familie, nur ein Kind zu haben, aber sie kommen ursprünglich aus China. Erst als er 14 Jahre alt war, haben sich seine Eltern dazu entschlossen, nach Kasachstan zu gehen. In China gab es lange Zeit die Ein-Kind-Politik, erst Ende 2015 wurde sie von der Regierung offiziell als beendet erklärt. Da war Brian jedoch schon 32 Jahre alt. Gerne hätte er Geschwister gehabt, eine grosse Familie mit vielen Onkels und Tanten so wie die anderen Kasachen. Doch für Brian gibt es nur seine Eltern. 1.462.588 Kasachen leben in China. Sie gelten als anerkannte Minderheit. Gehören nicht wirklich dazu. Doch auch hier in Kasachstan gehört er nicht wirklich dazu. Er findet keinen festen Job, da er kein Russisch spricht.
Brian heisst eigentlich gar nicht Brian, doch er träumt davon, eines Tages in Amerika zu leben. Sein Englisch ist fast akzentfrei, gelernt hat er es schon früh, indem er Britney Spears und Kylie Minogues Songtexte nachgesungen hat. Heimlich in seinem Zimmer. Heimlichkeiten bestimmen sein Leben in Kasachstan. Er fühlt sich, als verstecke er sich tagtäglich hinter einer Maske. Jeden Tag schlägt ihm Hass und Ablehnung entgegen. Distanziertheit der Kasachen, da er kaum Russisch spricht und nicht männlich genug ist, Überheblichkeit der Touristen, die ihn für einen unterprivilegierten Kasachen halten, und Hass der radikalen Muslime, die ihn als ungläubigen Sünder ansehen. In all den Jahren hat er jedoch für sich gelernt, dass er dieser Ablehnung am besten mit Freundlichkeit begegnen muss. Lächeln, obwohl es ihn innerlich fast zerreisst. Lächeln, obwohl die überheblichen Blicke der europäischen und amerikanischen Touristen ihn wie Pfeilspitzen verletzen.
Er hat Angst vor der Zukunft, Angst vor dem wachsenden Rassismus und der religiösen Radikalisierung. Dabei will er einfach nur leben, ohne sich verstellen zu müssen. Leben und lieben, wie er will. Seine ganze Hoffnung setzt er auf Amerika. Ein Amerika mit hoffentlich bald einem andern Präsidenten. Ein Amerika, wie er es aus den heimlich geschauten Beverly-Hills-90210-Folgen kennt. Ein Melting Pot, in dem es jeder schaffen kann, wenn er nur fleissig ist und sich anstrengt. Bis dahin übt er sich im Lächeln. Fast hat er das Fotolächeln der Amerikaner schon perfektioniert, wären da nicht seine traurigen, manchmal kummervollen Augen. Augen, die nach Hilfe suchen oder sich einfach ein bisschen Anerkennung wünschen. Augen, die sagen, ich will doch einfach nur dazugehören und geliebt werden.