«Bei einem fast zwölfstündigen Flug ist die Chance, dass ein Triebwerk ausfällt, doch recht hoch», höre ich meinen Sitznachbarn sagen. «Was für ein Quatsch», denke ich mir, denn soviel ich weiss, passieren die meisten Flugzeugunglücke beim Start oder bei der Landung. Das sage ich ihm jedoch lieber nicht, weil er sonst noch mehr Panik bekommt. Schon jetzt wirkt er recht nervös.
Er habe grosse Angst vorm Reisen. Nicht nur vorm Fliegen, sondern vorm Reisen allgemein. Letztes Jahr war er in Tel Aviv, er liebt diese Stadt, ihre Einwohner und das Essen. Trotzdem hätte er es nicht wirklich geniessen können, durch seine ständige Sorge vor Terroranschlägen. Vor den Ferien schaue er grundsätzlich keine Nachrichten, sonst würde ihn wahrscheinlich der Mut verlassen. Ich frage ihn, woher seine Angst kommt, ob ihm vielleicht mal irgendwo etwas Schlimmes passiert sei. In Zürich sei ihm mal das Portemonnaie gestohlen worden, sagt er ernst. Ich grinse vor mich hin und denke: «Klar, weiss ja jeder wie gefährlich es gerade in der Schweiz ist …».
Dieses Jahr reist er nach Japan. Er hat sich vorher gründlich erkundigt. Japan ist sauber und zivilisiert. Die Kriminalität sehr gering und auch sonst ist das Land sehr sicher. «Es sei denn, Sie gehen nach Fukushima oder geraten in die Fänge der Yakuza.» – Ich sehe sein entsetztes Gesicht und bedauere bereits, dass ich das laut ausgesprochen habe. Mein müde hinterhergeschobenes «Scherz!» hilft nun auch nichts mehr. Sein Gehirn fängt bereits an zu rattern und er wird immer nervöser. Er scheint völlig hilflos und reiseunerfahren zu sein. Ganz zu schweigen davon, dass er meinen Humor nicht versteht. Warum sucht ein solcher Mensch sich gerade Japan als Reiseziel aus? Ich erinnere mich noch genau, wie ich das erste Mal in Tokio war und völlig verloren vor den U-Bahn-Automaten stand. Damals habe ich Stationsschilder mit dem Handy fotografiert habe, um so meinen Weg zurückzufinden. Wie will ein scheinbar so reiseunerfahrener Angsthase wie der Mann auf Platz 24A sich dort zurechtfinden?
Ich wage nochmals einen Anlauf und frage ihn, warum er überhaupt verreise, wenn es ihn anscheinend so sehr stresse. «Weil ich leben will!» kommt es wie aus der Pistole geschossen. «Ja, ich will intensiv leben, auch wenn ich Angst davor habe.» Kaum drei Minuten später ist er tief und fest eingeschlafen. Er bekommt noch nicht einmal mit, wie das Flugzeug in einige starke Turbulenzen gerät. Ich schaue auf den Bildschirm im Vordersitz, kann dem Film jedoch nicht folgen, denn seine Worte «Ich will leben!» klingen zu laut in meinem Kopf nach.