Sie sind bis zu drei Meter gross und etwas pummelig, schmatzen unter Wasser und wenn sie pupsen steigen kleine silberne Bläschen auf. Schwimmen mit den Manatees ist eines der knuffigsten Erlebnisse Floridas.

Jeden Winter, wenn die Temperatur im Golf von Mexiko sinkt, kommen sie in die Küstenkanäle Floridas. Die sanften Riesen zieht es zu den warmen Quellen des Sunshine States, denn Seekühe sind zwar bis zu einer Tonne schwer, haben aber kein ausgeprägtes Unterhautfettgewebe wie Robben oder Wale und frieren daher leicht. In Florida dauert der Winter kalendarisch vom 15. November bis zum 31. März. In dieser Zeit nutzen die Seekühe das Naturschutzgebiet direkt an der Golfküste als beheiztes Winterquartier. Ihr Hotspot ist die Three Sisters Springs in Crystal River. Hier herrschen das ganze Jahr über Temperaturen um die 22°C, also optimale Bedingungen für die Maskottchen Floridas. Bis zu 500 Seekühe leben während der Saison in Crystal River. Einige wenige bleiben sogar das ganze Jahr über bei den warmen Süsswasser-Quellen und geniessen das glasklare, türkisblaue Wasser. Manatees haben von Natur aus die Ruhe weg. Sollte ihnen das menschliche Treiben jedoch zu viel werden, können sich die Tiere in markierte Ruhezonen zurückziehen.
«Home of the Manatee»
Citrus County Florida ist der einzige Bezirk, in dem man offiziell mit Manatees schwimmen darf. Dabei sollte man jedoch am besten ganz passiv bleiben, nicht tauchen, sondern im Wasser schweben und die Hände immer bei sich behalten. Denn wie es unser Skipper Anthony erklärt: «The best way to observe a fish is to become a fish – Die beste Art einen Fisch zu observieren, ist einer zu werden.» Diesen Satz hat er sich vom Meeresforscher Jacques Cousteau ausgeliehen, der im Jahre 1970 Florida besuchte, um einen Dokumentarfilm über die Seekühe zu drehen. Das Bild, welches er damals vorfand, war düster. Obwohl die Rundschwanzseekühe nur wenige natürliche Feinde haben, zählten sie zu den gefährdeten Arten. Vergnügungsboote verstopften den Fluss und viele Tiere – sogar die jüngsten Kälber – hatten Propellernarben durch Kollisionen mit zu schnell fahrenden Booten. Die Tiere wirkten gestresst, denn der Schiffsverkehr und die ständige Belästigung durch Menschen hatten ihren wintersicheren Hafen in eine Gefahrenzone verwandelt. Doch Cousteau produzierte zusammen mit seinem Sohn die Fernsehdokumentation «Die vergessenen Meerjungfrauen», und alles änderte sich. Die Bürger Floridas öffneten ihre Herzen für das pflanzenfressende Säugetier. Die Gewässer Floridas wurden zu einem Schutzgebiet für Seekühe und die Seekuhpopulation erholte sich. Vor zwei Jahren konnte der Status sogar von «bedroht» auf «schützenswert» zurückgestuft werden. Inzwischen haben die Manatees einen eigenen Fanklub, ein eigenes Festival, gelten als offizielles Meeressäugetier des Staates und Crystal River nennt sich gar «Home of the Manatee». Im gesamten Staate Florida ist die Population in den letzten vierzig Jahren von 800 auf 8800 Manatees angestiegen.


Nachhaltiger Tourismus
Auch Joyce Palmer, Refuge Managerin im Crystal River National Wildlife Refuge, und ihr Kollege Jim Valade vom U.S. Fish & Wildlife Service bestätigen uns, dass sich die Population der Seekühe in Crystal River jährlich erhöht: «Ein gutes Zeichen. Und das obwohl die Anzahl der Boote extrem angestiegen ist – von 200.000 in den 1970er Jahren auf heute eine Million. Wir müssen also weiterhin die Geschwindigkeit der Boote drosseln und menschliche Eingriffe in den Lebensraum der Manatees verhindern. In Crystal River haben wir hierfür eine sehr gute Lösung gefunden: Beobachtungsmöglichkeiten für Besucher, aber auch Schutzgebiete für die Tiere. Schnorchelnde Touristen bei den Manatees klingt kontrovers, doch man muss den Menschen live zeigen was schützenwert ist. Durch die sieben geschützten Rückzugsgebiete haben die Seekühe genügend Raum sich zu verstecken.» Ein Konzept, das aufgeht, denn trotz der vielen schnorchelnden Touristen sind die meisten Manatees in Crystal River recht gechillt. Es gilt jedoch einige Verhaltensregeln zu beachten. Um die Tiere nicht unnötig zu stressen, sollte man sich ihnen nie näher als bis auf einen Meter nähern. Zudem gibt es spezielle Ruhezonen, in die sich die Manatees zurückziehen können, wenn ihnen der Trubel mit den Schwimmern zu viel wird. «Diese Zonen sind für Menschen absolut tabu», erläutert die Biologin Joyce Palmer. «Wenn Manatees sich unwohl fühlen hauen sie einfach ab. Man sollte ihnen dann nicht hinterher schwimmen oder sie gar tauchenderweise verfolgen», erklärt sie weiter. «Einfach ruhig bleiben. Wer sich am wenigsten im Wasser bewegt, hat am meisten Spass», ergänzt ihr Kollege Jim, der seit über vierzig Jahren mit Seekühnen arbeitet und es wissen muss. «Viele Manatees sind neugierig und kommen von ganz allein.»


Nur die Ruhe bewahren
Das wollen wir natürlich ausprobieren und begeben uns am nächsten Morgen mit dem Touranbieter Explorida auf Manatee-Exkursion. Die Manatee Peak-Season (von November bis März) ist zwar bereits vorbei, doch in Crystal River bekommen auch Sommergäste mit etwas Glück noch Einzeltiere zu Gesicht. Denn einigen Seekühen gefällt es hier so gut, dass sie sich das ganze Jahr über angesiedelt haben. Ansonsten gilt jedoch je wärmer die umliegenden Gewässer mit steigenden Aussentemperaturen werden, desto weniger hält es die Manatees in der Bay. Es ist empfehlenswert, eine Tour früh morgens zu buchen, da die Wahrscheinlichkeit Seekühe hautnah zu erleben vormittags bedeutend höher ist. Nach einem kurzen Einführungsfilm steigen wir in unsere Wetsuits und schippern mit dem Boot auf’s Wasser hinaus. Auf der Fahrt erzählt uns Anthony noch ein bisschen mehr über die «Gentle Giants» – die freundlichen Riesen. Trotz ihrer Grösse sind Manatees völlig harmlos. Sie begnügen sich damit, gemütlich durchs Wasser zu schlängeln und verbringen den Grossteil des Tages mit Fressen und Schlafen. «Falls ein neugieriges Tier euch zu nahekommt, einfach Ruhe bewahren, auch wenn es anfängt an euch zu knabbern. Manatees haben extrem schlechte Augen und suchen stets nach etwas Essbarem.»


Nach einiger Zeit stoppt das Boot und wir schauen gespannt auf das Wasser. Lange Zeit passiert nichts, dann blubbern plötzlich nur zwei Meter vom Boot entfernt Luftblasen und eine graue Nase mit zwei grossen Nasenlöchern wird sichtbar. Juhu, ein Manatee! Eilig geht es – ausgestattet mit Schnorchel, Taucherbrille und Schwimmnudel – ins Wasser. Völlig übermotiviert und zu wild planschend vertreiben wir das Tier jedoch schnell, so dass wir nur noch einen Blick auf seine gewaltige Schwanzflosse erhaschen. Ups, so grossen hatten wir uns die Tiere nicht vorgestellt. Als wir etwas enttäuscht und mit einigem Respekt wieder an Bord klettern ermahnt uns Anthony nochmals: «Verhaltet Euch im Wasser ruhig. Nicht zu wild strampeln, sondern gemächlich schnorcheln. Wie ein Stück Treibholz einfach auf dem Wasser dümpeln!».

Tüpflischisser
Seekühe sind die grössten Pflanzenfresser des Ozeans: Ein ausgewachsenes Tier kann bis zu drei Meter lang werden und 1.200 kg wiegen – und täglich bis zu 15 Prozent seines eigenen Körpergewichts an pflanzlicher Nahrung zu sich nehmen. Sie können aber auch einige Monate ohne Futter auskommen. Mit ihren kräftigen Schwänzen können Seekühe über eine kurze Distanz eine Geschwindigkeit von 15 Meilen pro Stunde erreichen. Für gewöhnlich begnügen sie sich jedoch mit zwei bis fünf Meilen pro Stunde. Obwohl die Manatees 15 bis 20 Minuten den Atem anhalten können, tauchen sie alle drei bis fünf Minuten zum Atmen auf. Mit einem Atemzug ersetzen Seekühe bis zu 90 Prozent der Luft in ihrer Lunge. Menschen tauschen im Vergleich dazu nur 10 Prozent aus. Ihr nächster lebender Land-Verwandter ist der Elefant.
Seemannsgarn und silberne Bläschen
Es dauert eine ganze Weile, bis sich das nächste Manatee zeigt. Wieder steigen wir ins Wasser, dieses Mal ganz ruhig und vorsichtig. Plötzlich «schiessen» drei Manatees an mir vorbei: Ein junger Bulle jagt zwei Weibchen, die ganz und gar nicht in Paarungslaune sind. Sie wirbeln einigen «Staub» auf, sodass ich für einige Zeit im trüben Wasser kaum etwas erkennen kann. Plötzlich erscheint genau unter mir etwas riesiges Graues, was ich zuerst für einen Felsen halte. Doch der Felsen bewegt sich langsam über den dicht mit Seegras bewachsenen Boden und schmatz dabei. Nachdem sich das Wasser etwas beruhigt hat erkenne ich nun deutlich eine sicher über 2,5 Meter grosse Seekuh, die sich an unserer Anwesenheit überhaupt nicht stört, sondern friedlich grast. Nach einiger Zeit dreht sie ab und verschwindet langsam in den Weiten der Bay. Zurück an Bord bin ich noch immer ganz verzückt von dieser Begegnung. «Hast du die silbernen Bläschen gesehen, die sie ausatmet?», fragt mich Jenny aus Berlin. «Das hatte doch einfach etwas Magisches, fast wie Meerjungfrauen.» «Naja», antworte ich, «das wäre dann aber eine etwas übergewichtige Meerjungfrau.»


Doch Jenny ist nicht die erste, die diese Beobachtungen macht. Laut einem Schiffslogbuch vom 9. Januar 1493 sagte bereits Christoph Kolumbus, dass er am Vortag «drei Meerjungfrauen gesehen habe, die sich gut aus dem Meer erhoben. Diese seien jedoch nicht so schön, wie man sagt, denn ihre Gesichter hatten männliche Züge.» Die trägen Bewegungen und brustähnlichen Zitzen der Seekühe erinnerten viele Seemänner an Meerjungfrauen. Seekühe werden auf Lateinisch auch «Sirenia» genannt. So entstanden eine Vielzahl von Legenden rund um die «Sirenen». Als wir Antony von den silbernen Bläschen berichten lacht er nur: «Wer so viel Seegras und Wassersalat frisst muss auch eine Menge Gase ablassen.» Doch auch wenn das Manatee nur fröhlich unter uns herumgepupst hat, so war es dennoch ein absolut eindrückliches Erlebnis.
«Seekühe sind echt, Meerjungfrauen nicht.»
(Jodi Lynn Anderson)



Fazit: Schwimmen mit den Manatees ist ein unvergleichliches Erlebnis fernab der Freizeitparks und der sonst oft künstlichen Ferienwelten Floridas. Das nächste Mal besuchen wir Crystal River jedoch im Winter, während der Hauptsaison. Idealerweise im Januar, denn dann findet zudem noch das Manatee Festival statt.
