Die kanadischen Rockies bieten weitaus mehr als den berühmten «Champagne Powder». Hikingboots statt Skischuhe lautet das Motto, denn in Alberta hat jede Jahreszeit ihr ganz besonderes Flair. Allen voran der Herbst mit seiner gigantischen Farbenpracht und überwältigenden Naturkulisse.
«Sensationell!», murmelt Hannes als er auf das Display seiner Kamera schaut, «seht euch diese Farben an – selbst bei grauem Himmel einfach grossartig». Hannes ist eingefleischter Kanada-Fan. Auch Alberta hat er schon mehrfach bereist, meist jedoch im Winter zum Skifahren. Den Herbst hat er erst vor drei Jahren entdeckt, seitdem kehrt er jedoch jedes Jahr zurück, denn «das Gold Kanadas liegt einfach in Alberta. Zumindest im Herbst, wenn die Lärchen ihre gelben Nadeln im Sonnenlicht tanzen lassen.», erklärt er uns seine Faszination.
Ein Meer gelber Wipfel
Jeden Herbst macht sich Hannes nun zusammen mit vielen Einheimischen und Besuchern auf die Suche nach einer Baumart, die im Sommer kaum eines Blickes gewürdigt wird: Die Lärche, auch Tamarack genannt, ist ein sommergrüner Nadelbaum, der im Gegensatz zu den meisten anderen Kiefergewächsen im Herbst seine Nadeln verliert. Ehe dies jedoch geschieht, verfärben sich die weichen grünen Nadeln jeden Herbst in einen goldenen Kupferton. So wird die ohnehin schon malerische Landschaft der kanadischen Rockies in eine einzigartige Farbenpracht getaucht an der Bob Ross seine Freude gehabt hätte. Das Farbspektakel ist nur von kurzer Dauer, doch wer es einmal live miterlebt hat, wird es so schnell nicht mehr vergessen – oder, wie Hannes, es immer wieder erleben wollen. Ja, der Herbst in den kanadischen Rocky Mountains ist ganz anders als der Indian Summer in anderen Teilen des Landes. Da hier keine Ahornbäume wachsen, gibt es keinerlei Rot- und Orangetöne. Birken, Espen und allen voran Lärchen produzieren nur Gelbtöne. Und was für ein Gelb: Es strahlt, schimmert und leuchtet selbst an grauen Tagen was das Zeug hält.
Ein besonderes Paradies für Lärchen-Spotter ist Banff und das treffend benannte Larch Valley (Larch = Lärche) ist der Hotspot. Der Banff National Park westlich von Calgary ist der älteste Nationalpark Kanadas. Seit 1885 gibt es ihn schon, und mit seinen Bergen, Gletschern und Seen ist er ein wahres Paradies für Outdoor-Fans. Nach einer Kanufahrt auf dem türkisfarbenem Moraine Lake, einem der saubersten und schönsten Seen der Welt, kann man auf dem Larch Valley Trail und Sentinel Pass Trail durch eine Märchenlandschaft wandern bis einem plötzlich ein Meer aus Gold zu Füssen liegt. Der Weg ist recht anspruchsvoll, doch die Mühe lohnt sich. Da dieser Trail jedoch inzwischen recht beliebt ist, rät uns Hannes zu einer Wanderung am Healy Pass oder Arnica Lake. Dort muss er sein Lieblingsmotiv nur mit wenigen Menschen teilen. Ein ganz besonderer Tipp: Banff Trail Riders organisiert von September bis Anfang Oktober Reittouren. Während man auf dem Rücken des Pferdes immer höher steigt, erlebt man ein sich ständig änderndes Farbschauspiel. Von samtgrünen Wiesen im Tal, die mit spät blühenden Blumen übersät sind, bis hin zu karminroten Gebirgswiesen mit ihrem grossen Bestand an Lärchen, die gelb leuchten. Und das Beste: Hoch zu Ross sehen die Farben noch prächtiger aus!
Im Jasper National Park geht es ein wenig ruhiger zu als in Banff und auch hier wachsen jede Menge Lärchen an vielen Orten im Park. In ihrer vollen Pracht erlebt man die Lärchen am besten auf einer dreitägigen Reittour oder auf der klassischen 45 Kilometer langen Wanderung. Mit etwas Glück trifft man unterwegs auf Murmeltiere, Dickhornschafe oder Pikas –niedliche kleine Pfeifhasen. Wer es geruhsam angehen möchte, kann jedoch auch einfach eine Fahrt mit der Jasper Sky Tram unternehmen. Das Farbenmeer ist einfach einzigartig. Doch Hannes weiss, «das zirka dreiwöchige Zeitfenster für die Herbstfarben, das den grünen Sommer der kanadischen Rocky Mountains vom weissen Winter trennt, ist nur sehr kurz», doch es gibt noch jede Menge andere Dinge zu entdecken für den passionierten Hobbyfotografen. Im nächsten Jahr will er unbedingt zum Dark Sky Festival und lernen, wie man die Milchstrasse ins beste Licht setzt.
Sternengucker
Der Jasper National Park gehört zum UNESCO-Welterbe und wurde von der Royal Astronomical Society of Canada in Zusammenarbeit mit Parks Canada zum Dark Sky Preserve (Nachthimmelreservat) erklärt. Diese Bezeichnung wird Gebieten und Landschaften verliehen, die einerseits über einen beispielhaft dunklen Nachthimmel verfügen und andererseits auch Massnahmen in die Wege leiten, das noch verbleibende künstliche Licht und den Energieverbrauch zu reduzieren und die Ökosysteme zu schützen. Der Jasper National Park ist nach dem Wood Buffalo National Park das zweitgrösste Dark Sky Preserve weltweit und das grösste zugängliche Schutzgebiet dieser Art überhaupt. Zahlreiche Orte im Jasper National Park liefern Besuchern optimale Bedingungen, um Sterne zu beobachten – zu den zwei Besten gehören Pyramid Island und der Athabasca Glacier. Die erste Stelle liegt 15 Kilometer vom Zentrum Jaspers entfernt. Sternengucker gelangen über eine Brücke zur kleinen Insel im Pyramid Lake. Eine weitere Anreise hat man zum Athabasca Glacier, aber dafür eröffnet sich Hobby-Astronomen am Fusse des Gletschers der dunkelste Nachthimmel im gesamten Nationalpark. Jedes Jahr im Herbst findet zudem in Jasper das Dark Sky Festival statt. Auf dem Programm stehen Vorträge von Astronomen, Sternenbeobachtungen mit Teleskopen unter Anleitung von Experten an der Bergstation der Jasper SkyTram, geführte Nachtwanderungen sowie Sternenhimmel-Fotografie-Workshops. Hubert Kah und Hannes haben auf jeden Fall ihre Freude dran.
Alberta im Herbst ist die perfekte Kulisse für Outdoorliebhaber und Fotografen. Die abwechslungsreiche Landschaft mit ihrer vielfältigen Tierwelt und den intensiven Herbstfarben ist für professionelle Fotografen ebenso ein Traum wie für Hobbyfotografen. Hier ist es nicht so schwer das perfekte Bild zu schiessen, viel schwerer wird es sein sich zu entscheiden, welches der vielen Motive das Schönste ist. Selbst ein Bild der kanadischen Rocky Mountains mit Wasserspiegelung, umrahmt von goldgelben Lärchen und einem grasenden Elch im Vordergrund ist kein Glückstreffer, sondern gehört zu Albertas ganz normalen herbstlichen Aufnahmen.