Israelis lieben ihr Land und wissen jeden Quadratmeter zu schätzen. Auch oder seit einigen Jahren sogar ganz besonders die Wüste Negev. Kaum ein anderes Volk wäre in der Lage, dieser rauen Landschaft so viel Grün, Felder, Weinberge und sogar ganze Erdbeerplantagen abzutrotzen.

Text: Yvonne Beck

Die Wüste Israels zieht seit jeher Visionäre, Aussteiger und Spirituelle an. Moses führte sein Volk aus der ägyptischen Gefangenschaft durch die Wüste, und Israels Staatsgründer David Ben Gurion war der Überzeugung, dass sich das Schicksal Israels in der Wüste entscheiden würde. Sein Traum war es, die Wüste Negev fruchtbar und bewohnbar zu machen. Man müsse «die Wüste zum Blühen bringen». Ben Gurions Traum hat sich erfüllt, längst wird in der Wüste Wein angebaut, in Gewächshäusern an Tomaten experimentiert, der beste Basilikum der Welt gezüchtet und grosse Obstplantagen bewässert. Aber auch der Tourismuszweig erblüht immer mehr zum Leben.

Die Wüste lebt / shutterstock
Die Wüste lebt / shutterstock
Unendliche Weiten die Wüste Negev / shutterstock
Unendliche Weiten die Wüste Negev / shutterstock
Faszinierende Landschaften im Nichts / Yvonne Beck
Faszinierende Landschaften im Nichts / Yvonne Beck

Die kleine Schwester des Burning Man
Meterhohe Holzfiguren, dröhnende Musik und fantasievolle Outfits: Fast meint man, sich auf dem sagenumwobenen Burning-Man-Festival in Nevada zu befinden. Seit einigen Jahren feiern jedoch einige Tausend Menschen das Midburn-Festival in der Negev. Wer will, kann während des fünftägigen Events tanzen, Musik machen, Yoga praktizieren, nackt sein oder sich anderweitig selbstverwirklichen, und das alles mitten in der israelischen Wüste. Auch Kunst gibt es auf dem Midburn überall zu sehen. Etwa in Form eines riesigen Kartenhauses, fantastischer Figuren, verrückter Outfits, Fahrzeugen und Installationen, bei denen man sich vorkommt als sei man zu Gast bei Alice im Wunderland. Nach fünf Tagen ist der Spuk dann wieder vorbei. Aber anders als in Nevada kehren einige der Teilnehmer nicht einfach wieder zurück in ihr bürgerliches Leben sowie ihre Städte und überlassen die Wüste wieder sich selbst. Nein, in Israel zieht es immer mehrMenschen zum dauerhaften Leben in die Wüste. Die Negev-Wüste ist gut 12.000 Quadratkilometer gross, das sind ungefähr 60 Prozent des israelischen Staatsgebiets. Momentan leben zwar nur circa 600.000 Menschen hier, das sind bisher nicht einmal acht Prozent der Gesamtbevölkerung Israels, doch die Tendenz ist steigend. Viele der «neuen» Wüstenbewohner haben zuvor in Jerusalem oder Tel Aviv gelebt und suchen in der Negev nach einem alternativen Lebensstil. Unter ihnen Amos, der zuvor in Jerusalem gelebt hat. «Das Leben in Jerusalem ist hektisch, die Menschen sind angespannt, ständig brodelt es irgendwo, jeder will recht haben, keiner gibt nach. Es gibt keinen Platz für Träume», beschreibt er seine Intention, sich hier als Wander-Guide niedergelassen zu haben. Immer mehr Touristen seien auf der Suche nach sich selbst, da wäre die Wüste genau das Richtige: schnell zu erreichen, um mal an einem verlängerten Wochenende abzuschalten. Und tatsächlich treffen wir auf unserer Tour durch die Negev viele Menschen, die genau das suchen.

Partytime in der Wüste / Getty Image
Partytime in der Wüste / Getty Image

Mondlandschaft und Sternenstaub
Trotz der trockenen Hitze schauen wir während unserer Fahrt durch die Wüste gespannt auf die sich ständig verändernde Umgebung. Surreale Gesteinsformationen in den verschiedensten Farben, kleine Gebirge, kräftig grün leuchtende Plantagen, Weinberge, dann wieder karges Land, zwischendrin Militäranlagen, kurz darauf eingezäunte Kamele vor einer kleinen Beduinensiedlung. Immer wieder gibt es etwas Neues zu erspähen. Einen ganz besonderen Charakter besitzt jedoch der Ramon-Krater. Er ist der grösste Erosionskrater der Welt. Hier hätte ohne Weiteres die Mondlandung gedreht werden können. Die auf Hebräisch «Makhtesh Ramon» genannte Senke ist 40 Kilometer lang, zwischen zwei und zehn Kilometern breit und bis zu 500 Meter tief. Seine Entstehung ist die Folge von Jahrmillionen währender Erosion. Gewaltige geologische Kräfte waren hier am Werk, um dieses Hügel- und Bergemeer, durchsetzt von Ebenen und Flussläufen, zu formen. Besonders beeindruckend ist der Blick von der Aussichtsplattform bei Sonnenuntergang, wenn der Krater durch seine vielgestaltige Landschaft in allen Farbnuancen erstrahlt.

Mondlanschaft / shutterstock
Mondlanschaft / shutterstock
Ramon Crater / shutterstock
Ramon Crater / shutterstock

Zum näheren Kennenlernen dieses gigantischen Kraters kann man auf eigene Faust entweder zu Fuss oder mit dem Mountainbike das Ödland durchqueren. Markierte Wanderwege sorgen für die richtige Orientierung. Die Trails sind sehr abwechslungsreich angelegt und führen entlang bunter Sandsteine, ausgetrockneter Flussbetten, futuristischer Basaltformationen und sandiger Ebenen. Durch die ständigen Erosionen im Krater lässt sich die Entstehungsgeschichte dieser Landschaft sehr gut ablesen, und wer genau hinschaut, findet sogar versteinerte Ammoniten, die vor zirka 400 Millionen Jahren hier lebten. Kaum zu glauben, dass es hier mal ein Meer gegeben haben soll. Wir entscheiden uns aufgrund der stechenden Hitze jedoch nur für eine kleinere Wanderung und sind froh, dass uns bald ein Jeep mit frischem Wasser erwartet. Trotz Mütze und viel Wasser macht einigen von uns die pralle Sonne mächtig zu schaffen. Wer den gesamten Israel National Trail, einen Wanderweg von mehr als 1000 Kilometern, laufen will, braucht ein bisschen mehr Kondition als wir. Die Sonne brennt vor allem in der Ebene, doch die geringe Luftfeuchtigkeit macht die Temperaturen etwas erträglicher. Wanderer sollten jedoch viel Wasser mitnehmen, bis zu sechs Liter am Tag gehören in den Rucksack.

Astronomie im Krater
Wir entscheiden uns daher für eine andere Aktivität und besuchen den Krater nochmals in der Dunkelheit. Nachts sieht man hier kaum die Hand vor den Augen, und während wir tagsüber vor Hitze kaum zum Pusten kamen, fangen wir nun trotz dicker Jacke ein wenig an zu frösteln. Der Blick in den Himmel lässt uns die Kälte jedoch schnell vergessen, denn über uns strahlen, zum Greifen nah, Millionen von Sternen. Aufgeregt zeigt man auf die erste Sternschnuppe, der noch einige in dieser Nacht folgen sollen. Fachkundig erklärt uns ein Astronom, welche Sternenbilder über uns am Firmament um die Wette leuchten. Inzwischen liegt die ganze Gruppe auf dem Rücken und schaut verzückt zum Firmament. Da ist der grosse Wagen und dort der kleine Bär. Zum weiteren Entziffern benötigen wir jedoch die Hilfe des Fachmanns.

Ramon Krater / shutterstock
Ramon Krater / shutterstock
Ramon Krater von Oben wie Unten eine faszinierende Landschaft / shutterstock
Ramon Krater von Oben wie Unten eine faszinierende Landschaft / shutterstock

Mitzpe Ramon ist das Zentrum für Sternegucker in Israel, denn es gibt hier kaum Lichtverschmutzung. Die International Dark-Sky Association (IDA) hat den Ramon-Krater in Israel deshalb zum «International Dark Sky Park» ernannt. Das Naturreservat in der Negev-Wüste ist damit der erste Ort in der Region, der diese Auszeichnung erhält. Die Anerkennung als Sternenpark dient dem Schutz des Nachthimmels und wurde bisher an 55 Naturschutzgebiete in 15 Ländern verliehen. Ziel der IDA ist es, die weltweite Lichtverschmutzung zu bekämpfen und nächtliche Dunkelheit als wichtige Ressource zu erhalten. In Europa und den USA leben fast 95 Prozent unter einem stark bis leicht verschmutzten Himmel, in Europa können 60 Prozent der Bevölkerung die Milchstrasse nicht mehr sehen. Hier in der Wüste sieht man sie hingegen ganz klar und deutlich, sogar ohne das grosse Teleskop, welches man für uns aufgebaut hat. Der Himmel über der Negev bietet einen atemberaubenden Anblick auch mit blossem Auge. Fast eineinhalb Stunden liegen wir in der Dunkelheit, lauschen in die Stille und haben die Welt um uns vergessen. Sternschnuppe um Sternschnuppe fällt vom Himmel, und wir sprechen leise unsere Wünsche gen Himmel. Fühlen uns angesichts der Sternenpracht ein wenig klein, aber sehr zufrieden. Diese Ruhe ist es, die viele Menschen in die Wüste zieht. Tagsüber kann man stundenlang wandern, ohne dass man jemand anderen trifft, und in der Nacht umfängt einen diese dunkle Stille, die so beruhigend wirkt. Fairnesshalber muss jedoch gesagt werden, dass dies sicherlich nicht jedermanns Sache ist, denn die Jüngste im Bunde fängt bereits nach kurzer Zeit an, mit ihrem Handy zu spielen und mault, ihr sei langweilig und kalt.

Auch für Sportler eine perfekte Umgebung
Auch für Sportler eine perfekte Umgebung

Die Stille der Wüste
Dass die Wüste vielleicht nicht jedermanns Sache ist, weiss auch Ava. Sie ist seit zehn Tagen zu Gast im Zman Midbar. Sie lebt in Tel Aviv, aber kommt regelmässig in die Wüste. «Ganz Tel Aviv rennt. Immer hipper, immer schneller, immer grösser und höher. Alle rennen irgendetwas hinterher, aber keiner weiss genau, was. In Tel Aviv musst du jung und schnell sein, das ist auf Dauer sehr anstrengend. Immer mehr Menschen brauchen daher regelmässig einen kompletten System Reset, und den findet man am besten in der Wüste», erklärt sie uns. Das erste Mal sei sie sich ein wenig komisch vorgekommen, man muss lernen, sich selbst auszuhalten. Vielen Besuchern würde es nach kurzer Zeit langweilig, da sie ohne Handyempfang nichts mit sich anzufangen wissen. «In der Wüste muss man wissen, worauf man sich einlässt. Auch bei mir stellte sich nach zwei Tagen Langeweile ein, aber inzwischen weiss ich, damit umzugehen», fährt sie fort. Ihre Zeit vertreibt sie sich mit Yoga, Meditation und Lesen. Manchmal macht sie Spaziergänge durch die Wüste, probiert sich im Stone Balancing oder setzt sich einfach auf einen Felsen und geniesst den Sonnenuntergang. Sie musste erst lernen, wie wunderschön das Nichts der Wüste sein kann und wie heilsam. Selten haben wir jemand so Tiefenentspannten wie Ava getroffen, die Wüste scheint ihr gutzutun, auch wenn wir selbst bei der Einführung ins Stone Balancing eher zu Kicheranfällen neigen als zur Selbstfindung. Aber vielleicht hat Ava recht, vielleicht muss man erst wieder lernen, mit der Stille und sich selbst umzugehen. Vielleicht muss man jedoch auch ein wenig esoterisch angehaucht sein, um sich im Nichts der Wüste selbst wiederzufinden.

Die Stille der Wüste / Shutterstock
Die Stille der Wüste / Shutterstock
Nachts wird es recht kühl, aber die Wüste lässt einen zur Ruhr kommen / shutterstock
Nachts wird es recht kühl, aber die Wüste lässt einen zur Ruhr kommen / shutterstock

Sandboarden & Buggyride
Aber auch wer mehr Action braucht, wird in der Negev auf seine Kosten kommen. In kleinen, knallroten Wüsten-Buggys geht es mit viel Karacho durch die Wüste. Bergauf und bergab über Schotterpisten. Von der Stille der Wüste ist nun nicht mehr viel übrig, dafür aber bekommt man eine Extraportion Staub ab. Spass macht es auf jeden Fall, und gerade die Waghalsigeren unter uns geben richtig Gas, und schon bald ist von ihnen nicht viel mehr als eine Staubwolke am Horizont zu sehen. Nicht weniger sandig, dafür aber etwas sportlicher geht es beim Sandboarding zu. Es gehört zu einem der legendären Wüstenerlebnisse, die einem noch lange in Erinnerung bleiben. Zwar ist Israels Negev-Wüste grösstenteils eine Steinwüste, aber es gibt vereinzelt Gebiete mit weitläufigen Sanddünen. Hier kann jeder zum Surfer werden, denn der schwierigste Part ist es eigentlich, die Düne zu erklimmen. Runter geht es nach einer kurzen Einweisung wie von selbst. Sitzend, kniend oder stehend, je nach Können und Mut. Mit Drør Bamidbars Hilfe gleiten bald alle fast elegant den 30 Meter hohen Sandhang hinab. Eine kultige Wüstenerfahrung mit hohem Funfaktor. Die Beduinen, die schon seit Tausenden von Jahren durch diese Gegend ziehen, sagen, «die Wege der Weisheit führen durch die Wüste». Und wir können nur bestätigen:Wer ein paar Tage durch die Negev zieht, der sieht die vermeintliche Einöde, das karge, staubige Land bald mit ganz anderen Augen, denn die Wüste lebt und birgt viele spannende Geheimnisse. Auch für mich war es eher eine überraschende Liebe: die Wüste Negev und ich. Aber eine, die lange halten wird.

Beduinen / Bild: shutterstock
Beduinen / Bild: shutterstock