Beduinenzelt: Gegen alle Widerstände

Etwa 220.000 Beduinen leben in der Wüste Negev. Unter ihnen findet man traditionelle Nomaden mit Viehzucht und Handel, aber auch Halbnomaden oder sogar Sesshafte. Circa 40 Prozent leben in kleinen, nicht registrierten Siedlungen. Sie werden von der israelischen Regierung nicht anerkannt und weder mit Strom noch Wasser versorgt. In den illegalen Dörfern, die jederzeit abgerissen werden können, herrscht häufig grosse Armut. Um weiterhin in der Wüste leben zu können, öffnen sich die Beduinen mehr und mehr dem Tourismus. Wir trafen eine Beduinin namens Suad und sprachen mit ihr über Veränderungen in der Beduinengesellschaft, insbesondere über die sich verändernde Rolle der Frau und ihre eigene Rolle als Wegbereiterin für Frauenrechte.

Wie muss ich mir das Leben eines Beduinen vorstellen?
Es ist kein einfaches Leben und hat nur wenig mit der vom Tourismus verkauften Beduinen-Romantik gemein. Viele Beduinen leben ohne Strom- oder Wasseranschluss und häufig unterhalb der Armutsgrenze. Viele stehen mit dem israelischen Staat auf Kriegsfuss. Einige erkennen jedoch auch die Zeichen der Zeit und öffnen für Gäste ihre Zelte, bieten Kameltouren an und lassen Gäste in echten Beduinenzelten übernachten – frischen Tee, Datteln und Humus inklusive. Gastfreundschaft liegt uns im Blut und gehört zu unserer Kultur. Ich sehe den Tourismus als eine echte Chance für die Beduinen.

Inwiefern hat sich bei den Beduinen die Rolle der Frau in den letzten Jahren verändert?
Früher war der Platz einer Beduinin in der Küche. Sie war für das Kochen zuständig und musste Wasser holen. Heute studieren junge Frauen, gehen arbeiten und fahren Auto. Ich hingegen war mit bereits 13 Jahren verlobt. Mit 16 musste ich aufhören zu lernen und mit 18 wurde ich schliesslich verheiratet. Es war eine sogenannte Austauschehe. Mein Bruder und ich heirateten in eine andere Familie ein.

Was genau versteht man unter Austauschehe?
Mein Bruder heiratete die Schwester meines Mannes. Das kommt bei den Beduinen recht häufig vor. Dabei müssen sich die beiden Ehepaare stets gleich verhalten. Sprich, als mein Bruder sich eine zweite Frau nahm, musste auch mein Ehemann sich eine zweite Frau suchen.Beduinen sind Sunniten und dürfen daher bis zu vier Frauen heiraten.

Wie war das für Sie, als Ihr Mann sich noch eine Frau suchte?
Ich fing an, an meinem Leben zu zweifeln. Ich wusste plötzlich, dass ich es selbst in die Hand nehmen musste. Und so habe ich meine Schule beendet, habe ein Studium begonnen, habe einen Führerschein gemacht und mir eine Arbeit gesucht. Das war nicht immer einfach, aber ich habe es geschafft. Ich hatte drei grosse Träume, zwei davon habe ich mir bereits erfüllt. Zum einen wollte ich einen Film über mein Leben drehen, um anderen Frauen Mut zu machen. Dieser Film heisst «Agianst all Odds» – «Entgegen aller Widerstände». Zum anderen wollte ich wenigstens einmal in meinem Leben ins Ausland fliegen. Vor drei Jahren bin ich schliesslich nach Deutschland geflogen, um mit meinem Sohn nach dem Abschluss seines Medizinstudiums zu feiern.

Und der dritte Wunsch?
Ich möchte gerne ein Buch über mein Leben schreiben. Um anderen Frauen zu zeigen, dass alles möglich ist. Man muss es nur wollen und stark sein. Auch heute noch leben etwa 35 Prozent der beduinischen Männer mit mehr als einer Frau zusammen. Wenn Frauen das nicht möchten, können sie sich von ihrem Mann trennen. Die Lage ist heute viel besser als früher. Wir emanzipieren uns immer mehr! Und das tut unserer Gesellschaft gut. Die Zukunft der Beduinen liegt vielfach in den Händen der Frauen. Wir stehen für ein stolzes Erbe und Tradition, aber auch für die Zukunft und Erneuerung.