In die Töpfe geschaut…

Wem: Frank Oerthel / Wo: Restaurant Galerie Arté al Lago, Lugano / Dekoriert: 1 Michelin Stern & 16 GaultMillau Punkten

Wie schon auf den Stillleben alter Meister gehen im Restaurant Galerie Arté al Lago Essen, Trinken und Kunst eine Symbiose von Augenlust und Gaumenfreuden ein. Gottseidank weniger barock und üppig doch mindestens genauso genussvoll und sinnenfroh.

Text: Yvonne Beck

Küchenchef Frank Oerthle führt die kulinarische Regie und kreiert erlesene Gerichte, die die ganze Fülle saisonaler Aromen auf den Teller bringen. Dabei sprechen die Kreationen des Meisterkochs nicht nur den Geschmackssinn an. Die Gesamtkomposition seiner Menüs ist mindestens genauso durchdacht wie die der ausgestellten Kunstobjekte. Farben, Formen und Aromen fügen sich zu vergänglichen Kunstwerken zusammen. Wir versuchten dem Geheimnis des Meisters auf die Spur zu kommen.

Herr Oerthel, wie würden Sie das Ambiente des Restaurants Galerie Arté al Lago beschreiben?
Ganz einfach einzigartig! Im ganzen Tessin gibt es kein Restaurant mit dem Thema Kunst und Essen. Trotz des sehr hohen Niveaus vermittelt unser Team eine lockere Wohlfühlatmosphäre.

 Inspiriert die Kunst auch Ihre Küche?
Auf jeden Fall. Sicherlich bekomme ich viele Anregungen von den wechselnden Ausstellungen. Manchmal sind meine Teller sehr bunt mit Blüten und farbigen Sossen, manchmal schlichter.

Wie heben Sie sich von Ihren Kollegen ab?
Jeder von uns hat seinen eigenen Stil. Setzt man verschiedenen Köchen einen Hummer vor, wird jeder etwas anderes daraus machen. Daher möchte ich nicht sagen, dass ich mich von meinen Kollegen absetze.

Okay, anders gefragt: Wo setzen Sie Ihre Schwerpunkte?
Frische, saisonale Küche. Bei mir wird es im Dezember nie Spargel geben. Ich kreiere Menüs anhand der Produkte, die ich von meinen lokalen Produzenten geliefert bekomme. Ich wechsle selbst die feste Karte mindestens vier, fünf Mal im Jahr aus. Nach spätestens drei Monaten schreibe ich eine komplett neue Speisekarte. Das ist vielleicht das Besondere im Arté.

Veršffentlichung nur gegen Honorar und Namensnennung

Ihre Teller sehen aus wie kleine Kompositionen. Ist Kochen eine Kunst oder ein Handwerk?
Erstmal ein Handwerk, das man erlernen muss. Wenn man dieses Handwerk beherrscht, kommt später die Kreativität dazu. Aber als Koch hat man nie ausgelernt.

Wie wichtig sind Farben beim Kochen?
Sehr wichtig! Denn Farben stimulieren die Sinne. Nicht nur Gerüche und Aromen, sondern auch die visuelle Überraschung ist sehr wichtig.

Veršffentlichung nur gegen Honorar und Namensnennung

Wie schwer fällt es Ihnen, Dinge zu essen, die nicht gut aussehen?
Das Auge isst sicherlich immer mit, aber nicht alle Dinge die gut aussehen, schmecken auch gut.

Sie erschaffen also ein Gesamtkunstwerk aus Farben, Formen, Aromen und der Geschmack stimmt auch noch. Wie sind Sie zu dieser Art des Kochens gekommen?
Man entwickelt nach und nach seinen eigenen Stil. Man sieht Sachen, probiert aus und entwickelt sich immer weiter. Und wenn man wie ich ein bisschen musisch veranlagt ist, kocht man früher auf eine bestimmte Art. Aber man kann nicht alles lernen – man hat es oder man hat es nicht. Nicht jeder kann Sternekoch werden.

Wer «hat» es denn für Sie? Gibt es einen Koch den Sie besonders bewundern?
Daniel Humm! Ich habe mit ihm 1,5 Jahre im Giardino zusammen gearbeitet. Damals war er noch sehr jung. Aber was er heute macht kann einfach nur ein Ausnahmetalent schaffen. Wer auf diesem hohen Niveau immer wieder neue Sachen erfindet gehört einfach zur Koch-Weltelite. Joachim Wissler im Restaurant Vendôme gehört für mich ebenfalls in die Kategorie absoluter Spitzenkoch.

 Für Sie ist Kreativität also besonders wichtig?
Ja, es gibt nur eine kleine Anzahl avantgardistischer Köche. Sie sind die Leitfiguren der modernen Küche. Diese Köche heben sich von anderen Köchen ab, da sie einfach einen „Gang“ mehr haben. Sie erschaffen Trends und sind ganz besondere Talente.

Kochen ist für Sie in drei Worten?
Kunst, Befriedigung und Inspiration.

Stichwort Inspiration, woher bekommen Sie neue Inspirationen für ihre Gerichte?
Häufig kommen mir beim Kochen neue Ideen. Ich habe zum Beispiel einen falschen Calamari erfunden. Ich habe Zwiebeln geschält und gekocht und durch Zufall sah eine aus wie ein Tintenfisch. Wir haben die Zwiebeln dann gefüllt und aus frittierten Kartoffelstäbchen Tentakel geformt. Fertig ist unser falscher Calamari, der nun auf der Karte steht. Sonst lese ich aber auch viele Food-Magazine. Dort sehe ich ansprechende Teller und überlege mir was ich aus meiner Art zu Kochen daraus kreieren könnte.

 Was wäre Ihre Galgenmahlzeit?
Ein paar gut gemachte Ravioli. Ravioli mit einer schönen Farce. Geschmacklich gut abgeschmeckt, eine sämige Sosse dazu – perfekt. Die italienische Küche ist einfach meine Lieblingsküche.

 Was würde bei Ihnen auf keinen Fall auf den Tisch kommen?
Ich scheue mich davor, exotische Sachen zu servieren, zum Beispiel Känguru oder Alligator. Selbst mit Zicklein habe ich Probleme, obwohl das im Tessin sehr beliebt ist. Insekten finde ich auch sehr speziell – das ist ein Trend, den ich nicht mitmachen werde.

Auf welches Nahrungsmittel könnten Sie nicht verzichten?
Milch, Ei und Getreide. Mit diesen drei Zutaten kann man sehr viel kreieren. Da könnte ich eher auf Fisch oder Fleisch verzichten.

 Wie würden Sie Ihre Küchenphilosophie in drei Worten zusammenfassen?
100% Frische, saisonal und modern.