Katar gilt als das reichste Land der Welt und ist Gastgeber der nächsten Fussball-WM. Schon allein dadurch ist es häufig in den Schlagzeilen. Doch was hat es mit dem kleinen Wüstenstaat wirklich auf sich?

«Wir wollen mit Embrace Doha Brücken bauen und Gästen unsere Kultur sowie unsere Religion näherbringen», erklärt uns Amal Al Shamari. Sie ist Mitbegründerin des Vereins Embrace Doha. Ein Verein, der Expats und Touristen die Gepflogenheiten und Sitten Katars näherbringen soll. «Die arabische Kultur erscheint Europäern oftmals als sehr konservativ. Es gibt sehr viele Missverständnisse, daher erkläre ich Fremden gerne die Hintergründe unserer Bräuche. Kommunikation ist wichtig. Sie baut Vorurteile ab.»

Vorurteile abbauen
Wir nutzen diese Gelegenheit und stellen alle Fragen, die uns spätestens seit unserer Ankunft in Katar interessieren. Warum tragen Männer weisse Kleidung und Frauen schwarze? Wieso hat der Mann in der Moschee der Journalistin den Handschlag verweigert? Können junge Männer ihre Ehefrauen selbst wählen? Welchen Zweck hat die Gesichtsmaske (Burqah) und fühlt sich die Frau unterdrückt? Fragen, die auch aus unseren Vorurteilen gegenüber der arabischen Kultur und dem Islam entstehen. Fragen, auf die man schon immer gerne eine Antwort gehabt hätte, aber keinen geeignet Gesprächspartner hatte oder sich einfach nicht getraut hat sie zu stellen.

Verblüfft erfahre ich, dass die Frauen Katars enorm modebewusst sind und es riesige Modemessen gibt, auf denen namhafte Designer ihre Interpretationen der «Abaya», dem meist bodenlangen schwarzen Mantelumhang, vorstellen. Ja, der arabische Modemarkt gewinnt auf der ganzen Welt immer mehr an wirtschaftlicher Bedeutung, und so entwerfen selbst Top-Designer wie Dolce & Gabbana, John Galliano und Nina Ricci Kollektionen für Hidschabs und Abayas. «Die verhüllende Mode prägt das neue, starke Selbstbewusstsein der katarischen Frauen», berichtet Amal weiter. «Wir sind längst ein Land der Influencer und Blogger», grinst sie. Allein das Dating scheint in Katar bedeutend komplizierter. Unverheiratete Paare dürfen sich nicht alleine in der Öffentlichkeit treffen. Und kein Katarer würde jemals eine Frau zur Ehefrau nehmen, die von den Eltern nicht für gut befunden wird. Zudem gäbe es auch immer noch sehr viele arrangierte Ehen.

Hier wird auf Kunst & Architektur gesetzt
Ja, in manchen Bereichen scheint Katar sehr modern zu sein, in anderen wieder tief verwurzelt in seinen Traditionen und seinem Glauben. Die alten Stadtmauern sind längst gefallen. Zahlreiche Bauvorhaben haben in kurzer Zeit die Silhouette der Stadt komplett verändert. Neben exklusiven Wolkenkratzern reiht sich im Diplomatenviertel ein prächtiger Palast an den anderen, und bei den Museumsbauprojekten gibt sich das Who’s Who der Stararchitekten ein Stelldichein. Der Architekt I. M. Pei, Schöpfer der Louvre-Pyramide in Paris, stellte bereits 2007 das Museum für Islamische Kunst – kurz MIA – fertig, das grösste der islamischen Welt. Der Spanier Santiago Calatrava entwarf das Fotomuseum, das eine von Katars Regierung zusammengekaufte spektakuläre Sammlung beherbergen wird. Der Franzose Jean Nouvel konstruierte einen Anbau für das Nationalmuseum. Und der Japaner Arata Isozaki gestaltet die Nationalbibliothek – in Form eines schwebenden Raumschiffs. Eine beeindruckende Anzahl von weiteren Megaprojekten ist noch im Entstehen. Mitten in der Wüste soll im nächsten Jahrzehnt eine Vorzeige-Siedlung gebaut werden. Die smarte City mit unterirdischem Verkehrssystem, riesigem Kühlsystem und grünem Solarstrom soll einmal 5.000 Menschen ein Zuhause geben.

Man schlägt einen anderen Kurs als Dubai ein. Man mag es zwar imposant und exklusiv, aber bitte weniger schrill. Katar legt Wert auf Kunst, orientalisch inspiriertes Design und lässt Anklänge ans arabische Kulturerbe erkennen. So erscheint das Nationalmuseum von Jean Nouvel beispielsweise im Wüstenrosendesign, und das MIA erinnert an eine Frau, die durch eine Burka schaut. I. M. Pei gelang eine spektakuläre Synthese aus kubistischem Minimalismus und arabischen Stilelementen. Helle Quader türmen sich auf zu einer modernen Festung, die mit der silberfarbenen Kuppel ihrer Halle an eine Moschee erinnert. Auf 260.000 Quadratmetern wird hier die umfangreichste Kunstsammlung über den Islam zu bewundern sein.

Tausendundeine Nacht
Inbegriff des orientalischen Lebens ist der Souq, das traditionelle arabische Einkaufsviertel. Im Souq al-Waqif lebt es noch, das alte Katar. Das Katar der Ära vor dem Erdöl. Wenn auch inzwischen komplett renoviert, wird in den engen Gassen wie zu alten Zeiten Handel getrieben. In grossen offenen Jutesäcken breiten Händler ihre Waren aus: Pfeffer, Pistazien, Mandeln und Muskatnüsse. Es riecht nach Kardamom und Koriander, verschleierte Frauen kaufen Stoffe und ein kleiner Junge spaziert stolz mit seinem neu erworbenen Falken herum.

Die Falknerei, seit zwei Jahrtausenden von den Beduinen der Arabischen Halbinsel zur Jagd betrieben, ist heute ein beliebtes Hobby der einheimischen Männer. Das Training erfordert viel Zeit und Geduld. Um sie an ihren Besitzer zu gewöhnen, sollten die Tiere noch jung sein: Anfangs trägt das Tier eine Kappe über den Augen, schläft bei seinem Besitzer im Zimmer und ist auch sonst immer in dessen Nähe. Bei ersten Probeflügen auf Köder lernt der Falke, stets wieder auf den Lederhandschuh-geschützten Arm seines Besitzers zurückzukehren. Durch langwieriges Training wird der Flugradius allmählich erweitertet. Ein ausgebildeter Falke kann schnell bis zu 100.000 Euro kosten. Doch Geld scheint bei den Katarern das kleinste Problem zu sein.

Goldene Zeiten
Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen ist eins der höchsten der Welt. Und es ist kein Ende des Reichtums abzusehen, denn noch immer liegt unter dem Wüsten- und Meeresboden jede Menge Erdöl verborgen. Zudem besitzt Katar das drittgrösste Erdgasvorkommen der Welt. Mit 11.437 Quadratkilometern ist das Land jedoch gerade mal ein Viertel so gross wie die Schweiz. Der Herrscher lässt seine Untertanen – die echten Katarer – grosszügig am Wohlstand des Landes teilnehmen: Mit den Öleinnahmen werden die Haushaltsgelder des Landes gespeist, Wasser, Strom und Gesundheitsvorsorge sind kostenlos, Einkommenssteuer, Mehrwertsteuer und Lohnsteuer sind unbekannt. Alte, Kranke, Behinderte und Witwen werden auf Staatskosten versorgt, und bei Heirat gibt es Geld, ein Haus oder gleich beides. Allerdings ist auch nur jeder Neunte im Staat ein echter Katarer. Diese sind jedoch mächtig stolz auf ihr Land, und das Embargo und der Druck von aussen lassen einen ganz neuen Patriotismus erwachen, der dem Land einen weiteren Aufschwung geben wird.

Es wird noch einige Zeit dauern, bis alle Baustellen verschwunden sind und Katar sein endgültiges Gesicht gefunden hat. Bis dahin lohnt sich der Wüstenstaat jedoch auf jeden Fall für einen kurzen Stopover. Nirgends wird man belästigt. Niemand ist aufdringlich und in puncto Sauberkeit und Sicherheit kann Katar leicht mit Singapur mithalten.

Kurz: «Hlan wasahlan» – «Sie sind willkommen!»