Kunst im öffentlichen Raum als wichtiges Element des urbanen Lebens hat in der Schweiz eine lange Tradition. Ob Skulpturen im Park, Kunstinstallationen auf öffentlichen Plätzen oder temporäre Arbeiten von Kunstschaffenden in einem Quartier: Kunst im öffentlichen Raum prägt das kulturelle Leben einer Stadt.
Zürich vereint kreatives Stadtleben und idyllische Naturlandschaft auf kleinstem Raum. Kunstkennern und Kulturinteressierten stehen über 50 Museen und mehr als 100 Galerien zur Auswahl, während neugierige Stadt-Entdecker den Kontrast zwischen pittoresker Altstadt und moderneren Quartieren im stetigen Wandel erforschen. Besonders hohen Stellenwert geniesst in Zürich jedoch Public Art. Künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum schaffen neue Bezugspunkte. Sie verändern die Perspektive auf den Stadtraum und ermöglichen der Bevölkerung, ihre eigene Stadt neu zu entdecken. Nirgendwo funktioniert der Dialog zwischen Kunst und Publikum so unmittelbar wie im öffentlichen Raum. Zudem erzählt sie aber auch fast immer die Geschichte einer Stadt und begleitet deren Entwicklung in die Zukunft.
Drahtesel
Kunstwerke im öffentlichen Raum sind teilweise gut versteckt oder liegen in den Aussenbezirken der Stadt. Die beste Art, diese Ecken der Stadt zu entdecken, ist mit dem E-Bike. Daher hat die Stadt Zürich eine neue Tour aufgelegt: Jeweils jeden zweiten Samstag im Monat geht es mit den stylischen E-Bikes von EGO-Movement mühelos zu verschiedenen Werken. Selbst Zürcher können hier noch neue Perspektiven ihrer Stadt entdecken. Machbar für alle, die Fahrrad fahren können und geeignet für alle Kunstliebhaber.
Züri-West: Einst Industrieviertel, heute Hipster-Treff
So ist beispielsweise das Kunstwerk «Towers» von Los Carpinteros am Escher-Wyss-Platz eine Hommage auf das einstige Industriequartier. Die fünfteilige, monumentale Skulptur des kubanischen Künstlerduos steht in Zürich-West. Die Formen der fünf Skulpturen sind an Aufsteck-Elemente für Akkuschrauber angelehnt. Die Künstler Los Carpinteros verstehen ihr Werk als eine Hommage an die industrielle Vergangenheit des ehemaligen Industriequartiers Zürich-West. Das breite Publikum reagierte begeistert auf die temporäre Installation, weshalb die Walter A. Bechtler-Stiftung drei der fünf Skulpturen erwarb, um sie der Stadt Zürich für zehn Jahre als Leihgabe zur Verfügung zu stellen. Die Künstler entschieden daraufhin, die restlichen zwei Skulpturen für diese Zeit ebenfalls stehen zu lassen, damit das Ensemble zusammenbleibt. Auch die 520 Zentimeter grosse Chromstahlplastik «Anne-Sophie» des St. Galler Künstlers Alex Hanimann vor dem 25hours-Hotel an der Pfingstweidstrasse 102 repräsentiert den Umbruch des alten Industrieviertels. Sie steht sinnbildlich für die heutige junge, hippe Generation und ihre wohlhabende Heimat, Zürich-West.

Zürich Oerlikon: Künstlerduo Fischli/Weiss
Auch im ehemaligen Arbeiter- & Industriequartier Oerlikon gibt es einiges zu bestaunen. Besonders aufmerksame Beobachter entdecken so zum Beispiel an einer Gebäudefassade ein bedeutendes Werk des Zürcher Künstlerduos Fischli/Weiss. «How to Work Better» wurde 1991 an einem Bürogebäude in der Nähe des Bahnhofs Oerlikon angebracht. Etwa 20 Meter hoch und 10 Meter breit ist es besonders gut von der S-Bahn zwischen Oerlikon und Flughafen aus zu sehen. Während einer Reise durch Thailand entdeckten Fischli/Weiss diese Arbeitsanweisungen in einer Fabrik und überführten sie mit dieser Arbeit in den Schweizer Kontext. Es ist allerdings ironisch, dass jene Angestellte, die täglich in dem Bürogebäude arbeiten, die Arbeitshilfen an der Aussenwand selbst nicht sehen. Peter Fischli und David Weiss gehören zu einer Generation von Zürcher Kunstschaffenden, die Zürich wieder auf das Radar der internationalen Kunstszene gebracht haben. Eins ihrer Schlüsselwerke, das «Haus», steht in der Nähe des Hallenstadions. Das Modell eines unspektakulären, vierstöckigen Gewerbegebäudes im Massstab 1:5 fügt sich perfekt in seine Umgebung ein und fällt vielen erst gar nicht auf, beim genaueren Betrachten irritiert jedoch seine Grösse. Kurz: Typisch Fischli/Weiss, ein Zweckbau ohne Zweck.

Ja, Kunst im Freien kann auffällig und aussagekräftig sein. Und manchmal verschmilzt sie mit der Umgebung und wartet nur darauf, entdeckt zu werden. Einer, der sich seit Jahren für Kunst im öffentlichen Raum einsetzt, ist Christoph Doswald. Wir sprachen mit dem Kunstkritiker und Vorsitzenden der Arbeitsgruppe KiöR über die Wahrnehmung und den Sinn von Kunst im öffentlichen Raum sowie ihren Stellenwert in Zürich.

Herr Doswald, wie wichtig ist Kunst im öffentlichen Raum für eine Stadt und das Lebensgefühl seiner Bürger?
In einer Zeit, in der Architektur und das Stadtbild sich immer mehr ähnelt, kann Kunst einen Unterschied schaffen. Die Kunst stellt eine Identifikation und Einzigartigkeit eines öffentlichen Raumes dar.
Was ist Ihre persönliche Motivation sich so stark für Kunst im öffentlichen Raum einzusetzen?
Mich interessiert vor allem das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft und welche Beziehung Menschen zu den Werken aufbauen können. Ein Museum besucht man aus Interesse und hat durch Bezahlen des Eintrittes Erwartungen. Im öffentlichen Raum stösst man jedoch unvorbereitet auf die Kunst.
Welches ist Ihr Lieblingskunstwerk in Zürich?
Das ist sehr schwierig zu beantworten, da die Vielfalt dessen riesig ist. Zürich besitzt rund 1300 Kunstwerke im öffentlichen Raum.

Welche Stadtbezirke haben in Bezug auf Public Art am meisten zu bieten?
Historische und etablierte Kunstwerke sind zumeist im Stadtzentrum zu entdecken und anzutreffen, da diese während dem Aufbau des Zentrums im 19. Jahrhundert und anfangs 20. Jahrhundert entstanden. Kunst der Gegenwart ist hauptsächlich dort zu finden, wo sich Zürich noch stark verändert – in Zürich Nord und Zürich West. In diesen beiden Stadtteilen ist in den letzten 10 bis 15 Jahren am meisten passiert. Wo früher Industrie-Unternehmen angesiedelt waren, befinden sich heute die neuen Wohnquartiere.

Häufig gibt es keine Erläuterungen zu den Kunstwerken. Bei vielen Passanten erweckt das ein «Was soll das»- Gefühl. Ist hier etwas geplant?
Über die Map der Stadt Zürich sind alle Kunstwerke im öffentlichen Raum aufzufinden. Zusätzlich findet alle drei Jahre eine kuratierte Sommerausstellung statt: «Art and the City» (2012), «Art Altstetten Albisrieden» (2015) und «Neuer Norden Zürich» im letzten Sommer waren Grossprojekte mit internationaler Ausstrahlung. Dabei werden immer andere Stadtbezirke in den Fokus gesetzt und die Kunst im öffentlichen Raum der lokalen Bevölkerung wie auch Touristen näher gebracht. Dabei lässt sich so meist in unbekanntes Zürich kennenlernen. In den Zwischenjahren führen wir «Gasträume» durch und stellt jährlich, jeweils von Juni bis September, Räume im öffentlichen Raum zur vorübergehenden Bespielung mit Kunst zur Verfügung. Rund zwanzig temporäre Kunstwerke sind dann jeweils in der Stadt zu besichtigen.

Was ist das Besondere an KiöR in Zürich?
Normalerweise wird Kunst einer Stadt von der jeweiligen Kulturabteilung geleitet. Die 2006 gegründete Arbeitsgruppe KiöR in Zürich besteht zu 50% aus Kunst-Experten (Kuratoren, Museen, Künstler) und zu 50% aus Experten der Verwaltung (Grünstadt Zürich, Hoch- und Tiefbauamt, Stadtentwicklung). Dabei entsteht ein einzigartiger Mix und die Arbeitsgruppe kann sich so um den Erhalt und der Instandsetzung der bestehenden Kunst wie auch sich für neue Projekte kümmern.
