Tagelang kein Mensch, kein Auto, kein Haus – kilometerweit nur Steppe, Berge, Meer und Eis. In Patagonien erlebt man, wie schön das grosse Nichts sein kann. Schon Bruce Chatwin hat sich auf seiner langen Reise in Patagonien, das malerisch schöne Land am Ende der Welt, verliebt. Ein Land, das südlich des Rio Colorado beginnt und sich über fast 2000 Kilometer Richtung Süden bis zur Magellanstrasse erstreckt. Von der Ausdehnung ist es grösser als Frankreich, hat aber eine Bevölkerungsdichte von nur einem Menschen je zwei Quadratkilometer. Kein Wunder, verbindet man mit kaum einem anderen Reiseziel so sehr die Sehnsucht nach Abenteuer und Abgeschiedenheit.

«Ich dachte: Nirgendwo ist auch ein Ort.»
Bruce Chatwin
Südlich der Magellanstrasse verliert sich Südamerika im Inselgewirr Feuerlands. Sturm umtost den Granitfelsen Kap Horn, eisbedeckte Berge wachsen direkt aus dem Meer und beschatten den Beagle-Kanal, und tief in den Fjorden Südchiles und der Cordillera Darwins herrscht eine atemberaubende Stille, die nur durch das Krachen der kalbenden Gletscher durchbrochen wird. Über weite Steppen fegt der patagonische Westwind immer neue Wolkenformationen, während in den Tälern der Darwin-Cordillera eine üppige Vegetation dem rauen Klima zu trotzen versucht. Hier lebt kaum ein Mensch, dafür gibt es umso mehr Pinguine, Kormorane und See-Elefanten.

Im Bann der Gletscher
Einer der schönsten Eisgiganten befindet sich in der Pia-Bucht. Der majestätische Anblick auf die Bergketten, wo der Gletscher entspringt und sich gewaltig ins Meer hinabschiebt, ist einfach einzigartig. Grosse Blöcke, lösen sich aus der hellblau strahlenden Masse des Pia-Gletschers und donnern ins Meer. Sie lösen grosse Wellen aus, die Minuten später an den gegenüberliegenden Strand der Pia-Bucht schwappen. Gletscher sterben einen schönen Tod! Wenigstens hier in Patagonien. Eisgiganten bietet auch die «Allee der Gletscher», die sich auf einer Fahrt durch den Nordwestarm des Beagle-Kanals bewundern lassen. In Gedanken an ihre alte Heimat hatten Auswanderer, die hier vor über 100 Jahren eine Besiedelung wagten, diesen Eisriesen die Namen ihrer europäischen Heimatländer gegeben. Doch die Siedler am Ende der Welt gaben schnell wieder auf und zogen davon. Was blieb, sind nur die Namen der Gletscher: Spanien, Romanche, Deutschland, Italien, Frankreich und Holland. Sie entspringen alle in der Darwin-Cordillera, mit 2500 Metern das höchste Gebirge Feuerlands. Heute sind jedoch auch diese Gletscher aufgrund des Klimawandels in ihrer Existenz stark bedroht.

Die Hoffnung stirbt zuletzt
Noch ist Patagonien vielleicht einer der letzten abenteuerlichen Orte der Welt. Ein Stück Natur, das einem den Atem verschlägt. Feuerland ist noch weitgehend «ein unbeschriebener Fleck» auf den Karten der Tourismus Scouts. Den wenigen Besuchern präsentiert sich die Südspitze des südamerikanischen Kontinents in der Hauptreisezeit von September bis April wie im Tiefschlaf. Doch die Schönheit läuft Gefahr, wachgeküsst zu werden. Mächtige Kreuzfahrtschiffe skandinavischer Reedereien steuern inzwischen regelmässig das eisige Ende der Welt an. Damit ihre oft mehr als 1000 Passagiere einen Blick auf die unberührte Landschaft geniessen können, werden die schwimmenden Riesen durch verwinkelte Kanäle manövriert. Noch müssen die meisten Passagiere an Bord bleiben, was dem fragilen Ökosystem eine Galgenfrist beschert. Wie lange das noch so sein wird, ist jedoch fraglich, daher sollte man Patagonien und sein Feuerland so schnell wie möglich besuchen, um sich an seiner Schönheit erfreuen zu können.

Doch es gibt auch Hoffnung: Auf den 724.000 Hektar des Nationalparks in der Provinz Santa Cruz gibt es nämlich noch über 300 Gletscher – darunter ein Star, der alle Blicke auf sich zieht: der Gletscher Perito Moreno. Dieser Gletscher, der zum UNESCO-Weltnaturerbe gehört, hat etwa die Dimensionen der Stadt Buenos Aires. Er gehört weltweit zu den wenigen Gletschern, die wachsen – er wird langsam, aber sicher immer grösser. Das gepresste Gletschereis wird durch den andauernden Prozess von Frieren und Tauen beweglich und fliesst mit ca. 1–2 cm pro Stunde langsam, aber stetig auf einer Wasserschicht in Richtung Tal. Am Ende bildet sich dann eine hohe Gletscherzunge. Dort taut das Eis ab, es bilden sich Risse, und ab und an stürzt ein mächtiger Eisquader in den See. Der Perito-Moreno-Gletscher fliesst jedoch schneller nach, als er unten abtaut, was ihn also wachsen lässt. Allerdings hat sich auch hier in den letzten Jahren das Wachstum verlangsamt.