Der Begriff «Overtourism» ist in aller Munde. Auch die indonesischen Inseln haben seit Jahren damit zu kämpfen. Selfiestick-Touristen, amerikanische Desperates Housewives auf Selbstfindungstrip und Massen an Möchtegern-Hippies treibt es Jahr für Jahr nach Bali.
Wer vor 20 Jahren das letzte Mal auf Bali war, wird die Inseln heute nicht mehr wiedererkennen. An den Küstenorten wie Seminyak und Canggu reiht sich ein Surfshop an den nächsten. Australische Surferboys sitzen in stylischen Cafés oder hängen lässig bei einem Cocktail in einer der unzähligen Bars ab. Restaurants servieren alles, was der Hipstermagen braucht: vegan, glutenfrei, roh, holistisch, organisch oder ayurvedisch. Und auf den Strassen bieten balinesische Jungs Haschisch, Viagra und sich selbst feil.
Das kulturelle Zentrum Balis
Auf der Suche nach dem ursprünglichen Bali machten wir uns auf ins geschichtsträchtige Zentralbali, welches berühmt ist für sein Handwerk und seine darstellenden Künste. Ubud ist unbestritten das kulturelle Zentrum der Insel Bali. Schon in den 20er- und 30er-Jahren war der Ort für Künstler «the place to be» und seine Popularität wächst ungebrochen. Kunsthandwerk hat auf Bali eine jahrhundertelange Tradition. Ursprünglich fertigten Künstler und Kunsthandwerker ihre Arbeiten nur für religiöse Zwecke an. In den 1930er-Jahren, mit dem Zuzug europäischer Künstler wie Walter Spies und Rudolf Bonnet, wandelte sich das Bild. Neben Götter- und Dämonenabbildungen brachten balinesische Maler erstmals auch weltliche Motive zu Papier, darunter meist Szenen aus dem Leben der balinesischen Dorfgemeinschaften. Das Angebot an Kunsthandwerk in den Künstlerdörfern nahe Ubud ist schier unermesslich. Auf der 26 Kilometer langen «Strasse der Kunsthandwerker» findet man Schmuck, Holzschnitzereien, Steinmetzarbeiten, Möbel, Gemälde, Schirme oder Wayang-Kulit-Puppen.
Tüpflischiisser-Wissen
Vor 1963 gab es nur drei Hotels auf Bali. Laut Tourism Office besuchten im Jahr 2008 circa 1.970.000 ausländische Touristen Bali, Ende 2018 stieg diese Zahl auf über 5.000.000, was einem Zuwachs von über 150 Prozent in zehn Jahren entspricht. Kein Wunder, dass Bali das Wachstum des Tourismus nicht mehr bewältigen konnte.
Eat, Pray, Love
Heute gehört Ubud– trotz seiner geringen Grösse – zu den Top-Cities Asiens, und der Hype, den der Bestseller «Eat Pray Love» vor circa zehn Jahren auslöste, hat diesen Trend zusehends verstärkt. Aussteiger-Geschichten haben auf Bali eine lange Tradition. Kein Wunder, dass Hollywood früher oder später auf diesen Zug aufsprang. «Eat Pray Love» beruht auf den Memoiren von Elizabeth Gilbert. 158 Wochen stand das Buch auf der New-York-Times-Bestsellerliste, auch wenn wahre Ubud-Kenner das Buch kritisierten. Es liefert ein unvollständiges und falsches Bild von Ubud und seinen Bewohnern, von Tanz und Kunst in der Region, den Wanderungen und Naturbeschaffenheiten. So gibt es beispielsweise keine Surfspots an der Nordküste, und einen Traumstrand sucht man in der Nähe von Ubud auch vergeblich. Nichtsdestotrotz fanden viele Menschen erst durch das Buch ihren Weg nach Ubud. Das kleine Städtchen war vor allem für seinen Affenwald, die Reisfelder und die vielen Holzschnittkünstler bekannt – bis Elizabeth Gilbert dort «die glückliche Balance zwischen innerem und äusserem Glück» fand.
Heilung à la Hollywood
Viele Besucher Ubuds sind auf der Suche nach dem grossen Glück, nach Selbstfindung, einem symbolischen Neuanfang oder einem kleinen bisschen Magie – die es hier durchaus gibt. Der Name «Ubud» bedeutet im Balinesischen «Medizin», benannt nach einem Kraut, das nahe dem Fluss Campuhan wächst. Einigen Einheimischen werden hier besondere Heilkräfte zugeschrieben. Diese Heiler sollte man jedoch nicht 1:1 auf den Spuren Julia Roberts suchen, denn auch wenn man einige Charaktere des Films wirklich in Ubud antreffen kann, sind diese Begegnungen eher ernüchternd statt erbauend. Da ist zum Beispiel Ketut Liyer. Ketuts Alter wird inzwischen auf etwa 90 Jahre geschätzt. Sein Spezialgebiet ist das «Palmreading», also Handlesen – samt Lebensberatung. Die Sprechzeiten wechseln ständig, da der alternde Ketut gesundheitlich recht angeschlagen ist. Auch der Geist scheint nicht mehr ganz klar zu sein. Mindestens 30 Dollar muss man für eine kurze Sitzung von zehn Minuten bezahlen. Fast jeder Taxifahrer kennt inzwischen den Weg zu Ketut, allerdings muss man stets mit recht langen Wartezeiten rechnen. Auch Wayan Nurasih, ein weiterer Star aus dem Film, wohnt im Herzen Ubuds. In ihrem Laden können Besucher über ihre körperlichen Beschwerden und deren Behandlungen sprechen. Sie befühlt, beschaut, befragt und liest aus der Hand. Ihre Helfer brühen dann nach ihren Anweisungen Kräuter auf und stellen Pillen zusammen – alles rein pflanzlich. Elixiere, Vitamindrinks und spezielle Rohkostdiäten stehen hoch im Kurs. Aber Achtung: Das Ganze kostet schnell 80 bis 100 Dollar. Besser ist es also, man macht sich selbst auf die Suche nach seinen ganz eigenen Ubud-Glücksmomenten.
Traditionelle Heiler
Sie werden «Balian» genannt und spielen in der balinesischen Kultur eine sehr bedeutende Rolle. Sie behandeln körperliche und physische Krankheiten, entfernen Flüche und übermitteln Nachrichten der Vorfahren. Die etwa 8.000 Balian sind die Grundpfeiler der medizinischen Versorgung in den Gemeinden. Für Touristen ist es nicht einfach, einen echten balinesischen Heiler zu finden und keinem Scharlatan aufzusitzen. Gute Hotels können jedoch helfen eine Verabredung zu treffen und die passenden Opfergaben zu beschaffen, in die die Behandlungsgebühr gesteckt wird. Balinesische Schamanen haben ihre Kenntnisse teils von einem Familienmitglied erworben, welches zu Lebzeiten selbst die Funktion eines Balians ausübte. So haben sich die Balians seit Generationen auf die traditionelle Heilbehandlung spezialisiert. Da die Heiler ihr schamanisches Wissen nur an neue Mitglieder ihrer Gruppe weitergeben, erwuchsen den jeweiligen Mitgliedern dieser Gruppen freilich auch ganz unterschiedliche Fähigkeiten bezüglich der von ihnen praktizierten schamanischen Heilung. Ein Balian Tulang ist darauf spezialisiert, gebrochene Knochen zu richten oder Verstauchungen zu kurieren. Die Schamanen der Gruppe Balian Manak arbeiten als schamanische Geburtshelfer oder schamanische Hebammen. Wohingegen Baliane Usada, die auch als «lesende Baliane» bezeichnet werden, ihre Heilkräfte aus dem Besitz bestimmter Bücher, die sich mit der «traditionellen Heilkunde» oder mit schamanisch-magischen Techniken beschäftigen, beziehen. Diese Kraft wird vom Balian Usada durch Rezitieren von Mantras in Verbindung mit bestimmten Opferungen und Holy Water, das mit diesen Lontars (Bücher mit heiligen Texten auf Palmblättern geschrieben) in Kontakt gebracht wurde, auf andere Personen übertragen und zu Heilzwecken eingesetzt. Egal, zu welchem Heiler man sich begibt, man sollte nicht vergessen, dass die Behandlung stets in der Öffentlichkeit stattfindet und wahrscheinlich schmerzhaft ist. Tiefengewebsmassagen, das Stechen mit spitzen Stäben, Schröpfen oder das Ausspucken zerkauter Kräuter auf den Patienten gehören zur Behandlung einfach dazu.
Doch auch wenn «Ubud» übersetzt «Medizin» heisst, finden die meisten ihr Heil wohl eher auf andere Art und Weise, zum Beispiel durch lange Wanderungen inmitten grüner Reisfelder abseits des Massentourismus. Sie finden ihr Glück durch den Kontakt mit Einheimischen, der je weiter man in den Norden kommt, immer freundlicher und authentischer wird.
Ja, an manchen Orten kann man es noch finden, das echte Bali, wo Touristen nicht nur als «wandelnde Geldbörse» angesehen werden und Traditionen nicht nur für Shows aufrechterhalten werden. Ein Teil davon lebt auch noch in Ubud fort, man muss ihn nur finden.