Wie reist man nachhaltig und ohne Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen oder zu fördern? Für verantwortungsvolle Reisende in ferne Länder sind diese Fragen nicht immer einfach zu beantworten. Wir fragten nach bei Alexandra Karle, Kommunikationsleiterin von Amnesty International Schweiz.
Interview: Yvonne Beck
Frau Karle, wie viele Länder dieser Welt verletzten die Menschenrechte?
Es gibt leider kein Land auf der Welt, in dem keine Menschenrechte verletzt werden. Es gibt jedoch Staaten, in denen es regelmässig zu schweren Menschenrechtsverletzungen kommt. Wir bei Amnesty International stellen allerdings kein «Ranking» der schlimmsten auf. Stattdessen informieren wir in unserem Jahresbericht über die Situation in fast jedem Land. Der neue «Amnesty International Report 2017/18» erscheint am 22. Februar und steht online auf www.amnesty.ch zur Verfügung.
Aber welche Staaten/Länder sind momentan besonders auf dem Radar von Amnesty in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen?
Amnesty hat grundsätzlich alle Länder auf dem Radar, insbesondere jene, in denen schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen geschehen, und solche, in denen sich die Lage stark verschlechtert hat. Beispiele dafür waren 2017 etwa die Türkei, wo infolge des Putschversuchs vom Juli 2016 noch immer Zehntausende Menschen unschuldig und ohne Anklage in Haft sitzen. Oder Myanmar wegen der Verfolgung und Vertreibung der Rohyinga, Libyen wegen seiner illegalen Haftzentren für Migranten, die Europäische Union wegen ihrer menschenrechtswidrigen Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge – um nur einige Länder zu nennen.
Sind darunter beliebte touristische Destinationen und wenn ja welche?
Leider viele. Beispiele sind, wie gerade erwähnt, die Türkei, die zu einer der beliebtesten Feriendestinationen zählt. Oder Myanmar, das gerade von Schweizerinnen und Schweizern gerne besucht wird. Die Malediven, wo die Opposition mundtot gemacht wird, oder auch Ägypten. Dort werden Journalisten, Anwältinnen und Aktivisten willkürlich eingesperrt oder verschwinden einfach.
Was sollten Reisende also beachten?
Wichtig ist vor allem, dass sich Reisende vorab informieren über die Situation vor Ort und mit offenen Augen und Ohren reisen. Handelt es sich beim Reiseziel um einen autoritären Staat oder gar eine (Militär-)Diktatur, sollte darauf geachtet werden, dass die staatliche Tourismusbranche nicht finanziell unterstützt wird. Konkret heisst das, keine staatlichen Reiseanbieter, Hotels und Angebote zu nutzen, sondern auf private Anbieter, Pensionen und Initiativen zurückzugreifen.
Machen sich Reisende, wenn auch unbewusst, in gewisser Weise zu Komplizen von Menschenrechtsverletzungen?
Nicht, wenn sie darauf achten, dass durch ihre Reise nicht weitere Menschenrechtsverletzungen geschehen. Das kann in Nordkorea schwierig werden, weil die gesamte Tourismusindustrie in den Händen des Regimes liegt und Zwangsarbeit zu den systematischen Menschenrechtsverletzungen im Land gehört. Aber selbst in Ländern, in denen es kaum möglich ist, offen und unbeschwert mit den Menschen zu sprechen, kann der Tourismus dazu beitragen, dass für die Einheimischen eine Verbindung zum Rest der Welt aufgebaut wird und eine langsame Öffnung stattfindet.
Wo informieren sich Reisende vorab am besten über die jeweilige Situation im Lande? Gibt es Reisehinweise in Bezug von Menschenrechtsverletzungen bspw. vom Auswärtigen Amt?
Das Auswärtige Amt in Deutschland oder das Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA in der Schweiz listen auf ihren Webseiten Reise- und Sicherheitshinweise für diverse Länder auf und sprechen unter Umständen auch Reisewarnungen aus. Allerdings geht es dabei in erster Linie um die Sicherheit der eigenen Staatsbürger und nicht um die Menschenrechtsverletzungen, die die Einheimischen erdulden müssen. Da bieten sich dann eher die Webseiten von Menschenrechtsorganisationen wie der unseren an. Inzwischen sind aber auch viele Reiseveranstalter für das Thema Menschenrechte sensibilisiert und bieten ihren Kundinnen und Kunden bei Interesse Informationen.
Denken Sie, dass für gewisse Länder ein Tourismusboykott sinnvoll wäre?
Amnesty International spricht sich grundsätzlich nicht für Boykotte aus. Unter den ausbleibenden Touristen leidet in der Regel die Bevölkerung am meisten. Wenn die Reisenden informiert und aufgeschlossen unterwegs sind und ein paar grundlegende Regeln beachten, dann kann jedes Land bereist werden. Allerdings kann es zynisch sein, inmitten grösster Armut und schwerer Menschenrechtsverletzungen im Luxus zu schwelgen, wie das in manchen Feriendestinationen geschieht.
Müssten bei Menschenrechtsverletzungen touristische Unternehmen mehr in die Pflicht genommen werden?
Aus unserer Sicht wäre es natürlich wünschenswert, dass Reiseveranstalter eine Informationspflicht gegenüber ihren Kundinnen hätten, was Menschenrechtsverletzungen im Destinationsland angeht. Absolut wichtig wäre auch, Reiseveranstalter dazu anzuhalten, dass durch ihre Aktivitäten in den jeweiligen Ländern Menschenrechte nicht verletzt werden, wie beispielsweise durch Zwangsarbeit. Doch letztendlich muss jede und jeder für sich entscheiden, wohin er reist und mit welchem Zweck und welcher Einstellung