Das kleine Büdchen umme Ecke gehört zum Pott wie Currywurst und Pommes. Wie kaum eine andere Institution steht es für die Lebensweise der Menschen im Ruhrgebiet. In den sogenannten Trinkhallen kann man sein Herz ausschütten, über Politik diskutieren oder über die Regierung schimpfen.
Text: Yvonne Beck
Hier weiss man einfach über alles Bescheid: über freie Wohnungen, entflogene Wellensittiche oder den neuen Freund von Frau Chmielewski. Schulkinder kaufen hier wie seit Jahrzehnten ihre gemischten Tüten, Opa Paul seine Packung «Ernte 23» und Brigitte holt für ihren Manfred schnell noch die BILD-Zeitung. Dabei erfährt sie gleich noch, dass der Jüngste der Schmitz’ nun auch noch Hartz-4-Empfänger ist und dem Heinz seine Jaqueline jetzt das vierte Kind kriegt. Das Büdchen ist das Facebook des Ruhrgebiets. Hier hört man Klatsch und Tratsch, bekommt seelsorgerische Tipps oder die ein oder andere Lebensweisheit (auch wenn man gar nicht danach fragt) mit auf den Weg.

Die ersten Trinkhallen, die anfangs ausschliesslich dem Verkauf alkoholfreier Getränke dienten, entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung. Da der Ausschank von Wasser zunächst im Vordergrund stand, wurden sie auch häufig Selterswasser-Buden genannt. Ihre Blütezeiten erlebten sie in den 50er-Jahren, als es hiess: «Nach der Schicht an die Bude» – für Konserven, Zeitung, Bier und sogar Rollmops.
Die Buden des Ruhrgebiets waren der Dorfplatz der Grossstadt, und schon immer trafen hier die unterschiedlichsten Menschen aufeinander und kamen schnell ins Gespräch. Ja, ob Wanne-Eickel, Herne, Oberhausen oder Bottrop, Trinkhallen waren und sind der Mikrokosmos des Ruhrgebiets! Zwar wirken viele inzwischen wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Doch während immer mehr kleine Einzelhandelsgeschäfte schliessen müssen und Tante-Emma-Läden längst ausgestorben sind, bilden die Büdchen eine wackere Bastion gegen anonyme Supermarktketten und Grossdiscounter.
Heute gibt es im Ruhrgebiet noch schätzungsweise 15.000 Buden, und wie damals heisst es Gott sei Dank immer noch: «Ich geh ma wacka anne Bude.»