Wir befinden uns im Jahre 2019 n. Chr. Ganz Deutschland trinkt seinen Wein aus filigranen, langstieligen Weingläsern … Ganz Deutschland? Nein! Die von unbeugsamen Geniessern bevölkerte rheinland-pfälzische Region Pfalz leistet dem Eindringling tapfer Widerstand. Sie trinken ihren Wein weiterhin mit Stolz aus ihren Dubbegläsern.
Text: Susanne Schmitt
Die Pfalz, eine Region im Süden von Rheinland-Pfalz, liegt zwischen der Mosel und der deutsch-französischen Grenze sowie zwischen Saarland und Rhein. Ihre liebenswert-schrulligen Bewohner sind für ihren «interessanten» Dialekt und so manche Eigenarten bekannt. Das Dubbeglas ist beispielsweise so eine Eigenart.

Das Dubbeglas ist ein typisches Pfälzer Glas für Wein oder – von einem Grossteil der Pfälzer bevorzugt – Weinschorle. Es besitzt das Fassungsvermögen eines halben Liters. Der Name Dubbeglas (Dubbe bedeutet im Pfälzischen Tupfen) leitet sich von den runden, daumennagelgrossen Vertiefungen ab, die in die Aussenseite des sich kegelförmig nach oben verbreiternden Glases eingearbeitet sind. Diese Dubbe verleihen dem Glas eine besondere Griffigkeit. Es heisst, das Dubbeglas wurde von Metzgern aus der pfälzischen Kurstadt Bad Dürkheim erfunden, da bei Schlachtfesten die zuvor üblichen glatten Weingläser zu leicht aus der fettigen oder feuchten Hand rutschten. Aufgrund der Grösse und Form des Glases behaupten so manche bösen Zungen, die Pfälzer tränken ihr Lieblingsgetränk aus Blumenvasen. Besonders auf den für die Region typischen Weinfesten ist es für Nicht-Pfälzer ein schwieriges Unterfangen, mit Pfälzer Gepflogenheiten Schritt zu halten. Touristen sind mit den ausgeschenkten Weinmengen häufig überfordert. Bestellt ein «Zugereister» auf einem Weinfest in perfektem Hochdeutsch «Ein Achtel Riesling, bitte» (also 0,125 l) kann es durchaus vorkommen, dass des Winzers Antwort lautet: «Kumm werrer, wann de Dorscht hosch.» Was so viel heisst wie: «Komm wieder, wenn Du wirklich Durst hast.» Ein Achtel bezeichnet man in der Pfalz übrigens leicht spöttisch als «Schluggimpfung» und die «kriggscht beim Doggder». Pfälzer sind es einfach nicht gewohnt, kleine Mengen zu konsumieren. Ein Viertel Wein könnte der echte Pfälzer eventuell noch akzeptieren, den Durst löscht so ein Probier-Schlückchen aber sicher nicht.

Des Pfälzers Kultgetränk ist übrigens der Weinschorle. Die typische Wein-Wasser-Mischung einer echten Pfälzer Riesling-Schorle im 0,5-Liter-Dubbeglas wird im Verhältnis 2:3, also zwei Drittel Wein und ein Drittel Wasser gemischt. Der Pfälzer nimmt den Riesling schon mit der Muttermilch auf und ist somit auf ein Leben voller Feste und Genuss bestens vorbereitet. Allen Zugereisten sei Vorsicht geboten. Vor allem auf dem Heimweg in Vollmondnächten, denn dann sind die Elwetritschejäger unterwegs. Mit Sack, Laterne und einer Rieslingschorle – zur Tarnung des menschlichen Geruchs – sind sie auf der Jagd nach dem sagenumwobenen Pfälzer Nationalvogel. Mit lauten «Tritsch-Tritsch»-Rufen versuchen sie, die Elwetritsch in einen Sack zu jagen – was jedoch kein einfaches Unterfangen ist. Denn gejagt werden Elwetritsche recht häufig, gefangen hat sie noch keiner, nur gesehen haben wollen sie schon viele … besonders nach Weinfesten.

Entgegen aller Gerüchte nehmen Pfälzer ihre Nahrung jedoch nicht nur in flüssiger Form zu sich, sondern wissen auch deftiges Essen zu schätzen. Zur Riesling-Schorle wird gerne Weck und Worscht (Brötchen und Fleischwurst) serviert, wobei die Wurst fast immer kalt gegessen wird. Und als absolute Pfälzer Spezialität gilt der Pfälzer Saumagen, der wesentlich besser schmeckt, als er sich anhört. Beim Saumagen werden nur mageres Schweinefleisch (40 Prozent), festkochende Kartoffeln (30 Prozent) und Gewürze wie Majoran, Muskat und Koriander verwendet. Die weissen Stückchen in der Füllung sind also kein Fett, sondern gewürfelte Kartoffeln. Helmut Kohl setzte das im Schweinemagen gegarte Fleischgericht allen seinen internationalen Gästen vor, ob sie wollten oder nicht.

Und zum Saumagen gab es dann bestimmt auch ein Dubbeglas mit Riesling-Schorle. Stilecht Pfälzisch eben. Vielleicht setzt sich dieser liebevolle Brauch der unbeugsamen Pfälzer Geniesser ja doch noch im Rest der Welt durch. Warten wir es ab. Bis dahin sagen wir: zum Wohl. Die Pfalz.