Wandern ist in. Es schützt nicht nur vor Bluthochdruck und Burn-out, es hilft auch beim Denken. Längst hat sich das Wandern von seinem angestaubten Image verabschiedet und sich zum Trendsport gewandelt. Wir sprachen mit Christian Hlade, Gründer des Reiseveranstalters «Weltweitwandern» und Autor von «Das grosse Buch vom Wandern», über die Faszination des Wanderns und weltweite, noch unbekannte Wander-Highlights.
Herr Hlade, wo sind Sie zuletzt gewandert?
Mit meiner Familie auf den «grossen Bösenstein», ein wunderschöner 2.448 Meter hoher Aussichtsberg in den Rottenmanner Tauern.
Wann hat Sie die Wanderlust gepackt?
Als Kind mochte ich das Wandern mit meinen Eltern ja nicht so gerne, aber dann mit 17 habe ich es für mich selbst entdeckt und war dann gleich sehr viel mit meinen Schulfreunden in den nahen Bergen unterwegs.
Was fasziniert Sie am Wandern?
Einerseits ist das Gehen in der Natur super, um sich selbst näherzukommen, sich selbst zu erden und besser zu spüren. Andererseits entstehen beim Wandern geniale, manchmal auch sehr tiefe Gespräche und man kommt durchs Zusammen-Gehen anderen Menschen oft näher als bei anderen Aktivitäten.
Hat Wandern Ihr Leben verändert?
Ja, das hat es voll und ganz! Ich habe das ganz grosse Glück, seit nunmehr 20 Jahren als «hauptberuflicher Wanderer» vom Wandern zu leben. Mit meiner Firma Weltweitwandern bieten wir aktuell 254 verschiedene Wandergruppenreisen in über 90 Ländern weltweit an.
Was schätzen Sie, wie viele Kilometer sind Sie in Ihrem Leben bereits gewandert?
Bereits über 50.000 Kilometer – 1.000 Kilometer durch Nordindien und Ladakh, 1.500 Kilometer durch Tibet und viele, viele weitere in den Alpen und in über 80 Ländern rund um den Globus!
Welchen Stellenwert hat Wandern in unserer digitalisierten und schnelllebigen Welt?
Das Wandern mit seinem «Lowspeed» schafft einen wunderbaren Ausgleich zum «Highspeed» unseres vernetzten Alltags. Zum heutigen Online-Leben braucht es unbedingt diesen Ausgleich von «Nicht-Erreichbar sein» und einem langsameren, uns Menschen mehr entsprechendem Tempo.
Früher ging es um den Weg, um was geht es heute?
Immer wenn ich mit Menschen aus Nepal oder Marokko gemeinsam wandernd unterwegs bin, merke ich: Die menschlichen Bedürfnisse sind überall ähnlich, und man kommt sich über kulturelle und sonstige äussere Unterschiede beim gemeinsamen Gehen sehr nahe. Das Zusammen-unterwegs-Sein verwischt dann alle Unterschiede – das ist wunderschön!
Wandern Sie lieber allein oder in Gesellschaft?
Eindeutig beides! Ich liebe es, allein ganz intensiv die Natur zu spüren oder auch allein wandernd Ideen und Gedanken zu reflektieren. Ich schätze aber genauso die wunderbare Qualität von Gesprächen, die so nur wandernd im Freien entstehen können. Wandern unterstützt beides gut!
Welche Sehnsucht verbinden Sie mit Wandern?
Freiheit und Weite! Erforschen und Entdecken neuer Landschaften und anderer Kulturen. Zu Fuss unterwegs zu sein, stillt eine innere Sehnsucht in mir, den Nomaden in mir.
Wie sieht für Sie eine perfekte Wanderung aus?
Meine perfekte Wanderung dauert mehrere Tage, in denen ich eine vielfältige Landschaft für mich neu entdecke. Zusammen mit netten Weggefährten, schön gelegenen Hütten und gutem Essen.
Welche Jahreszeit ist Ihnen die liebste zum Wandern?
Der Herbst mit seinem oft sehr stabilen Wetter, kühlen Vormittagen und viel Sonne!
Welchen Landschaftstyp bevorzugen Sie?
Ich liebe es sehr, in bergigen, einsamen und sehr naturbelassenen Gebieten zu wandern. Die Power der Natur spürt man dort am intensivsten.
Gab es eine Wanderung, bei der Sie an Ihre Grenzen gestossen sind?
Ja, schon des Öfteren. Dieses An-seine-Grenzen-Gehen ist für mich manchmal wichtig. Bis an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu wandern oder auch im Besteigen von hohen Gipfeln spürt man sich selbst besonders intensiv. Das hat aber nichts mit «unüberlegter Leichtsinnigkeit» zu tun, man muss da immer auch auf die Sicherheit achten.
Welchen Weg möchten Sie auf jeden Fall nochmals gehen?
Ich habe viele Wege in den Alpen, die ich regelmässig gerne gehe. Im hohen Atlas oder in der Wüste von Marokko und in Nepal wandere ich auch wahnsinnig gerne auf meinen eigenen, früheren Wegen!
Verraten Sie uns ein paar noch unbekannte «Wander-Highlights», ein paar Hidden Gems?
Sehr gerne, weil die Welt ist zum Glück ja gross und oft konzentriert sich alles auf wenige Highlight-Länder und -Wanderungen: Ich empfehle daher dringend, touristisch unbekanntere Länder zu besuchen und dort zu wandern, wie zum Beispiel Kirgistan, Bosnien oder auch Kolumbien.
Aber auch in meinem Bundesland, der Steiermark, gibt es viele stille Wege, zum Beispiel in der Oststeiermark. In meinem neuen Buch «Das grosse Buch vom Wandern» stelle ich da auch einige dieser «Hidden Gems» vor.
Wie sieht Ihre Tour-Vorbereitung aus?
Wer kommt mit? Wie viel Zeit haben wir? Wetterbericht konsultieren! Anreise klären. Einpacken des Rucksackes nach meiner Packliste im «Das grosse Buch vom Wandern». Letzter Check vor dem Losgehen. Geniessen!
Welche Gefahren unterschätzen die meisten Amateurwanderer?
Viele ungeübte Wanderer gehen im Hochgebirge zu schnell los und machen zu wenige Pausen. Auch eine gute Schlechtwetterausrüstung darf im Hochgebirge nicht fehlen.
Was würden Sie Wanderanfängern raten?
Nicht gleich mit anstrengenden Hochgebirgswanderungen beginnen, sondern langsam die Kondition und die Erfahrung bei einfachen Mittelgebirgswanderungen trainieren. Viel mehr Freude macht das Wandern auch, wenn man sich einer Gruppe Gleichgesinnter anschliesst.
Das für Sie schönste Wandergebiet in Europa?
Die Alpen liegen bei mir ja vor der Haustür und sind wunderschön. Als Kontrastprogramm dazu liebe ich das Wandern auf Inseln, zum Beispiel auf Madeira oder auf den Azoren. Aber auch ganz in der Nähe, wie in Kroatien, Montenegro, Albanien wandere ich wahnsinnig gerne und bin oft überrascht, wie vielseitig es dort ist.
Das für Sie schönste Wandergebiet weltweit?
Puh – da gibt’s viele «schönste» für mich! Ich glaube fast jedes Land hat schöne «Ecken», die es sich lohnt zu entdecken. Ich liebe meine gewohnten Wege in meinen Hausbergen – genauso zieht es mich aber auch raus, um Neues zu entdecken. Richtig tief bewegt hat mich in den letzten Jahren die wilde und ursprüngliche Natur von Neuseeland mit Bäumen, die hunderte von Jahren alt sind, mit Moosen und Farnen und schier unendlichen Wanderwegen, … aber auch das faszinierende Volk in Kirgistan, die Nomaden und die Weite in der Mongolei. Ein Teil meines Herzens wird auch immer in Ladakh bleiben, wo ich ja viel Zeit verbracht habe. Ich könnte noch stundenlang weitererzählen: Wüstenwandern in Marokko mit dem Sternenhimmel, Kuba, Cap Verde und vieles mehr …
Was macht Sie sprachlos, wenn Sie unterwegs sind?
Wie klein ich und meine «riesengrossen Alltagsprobleme» plötzlich im Vergleich zu den Dimensionen der Berge sind und wie schnell dann meine «Alltagsmonster» draussen in der Natur verschwinden.
Die Schönheit und Vielfalt unserer Erde machen mich regelmässig sprachlos, ehrfürchtig und lassen mich staunen!
Nach welchem Rhythmus wandern Sie?
Immer recht langsam starten, ausreichend Zeit zum Geniessen und für Pausen unterwegs einplanen – aber sehr gerne recht lange und weit. Ich liebe vor allem den frühen Morgen und den Abend!
Wandern mit oder ohne Stöcke?
Bei längeren Abstiegen immer mit Stöcken, auf einfacheren Wegen aber auch ohne bzw. Stöcke aussen am Rucksack verstaut.
Was gehört bei einer Tageswanderung auf jeden Fall in den Rucksack?
Ausreichend zu trinken, Blasenpflaster, Wechselgewand sowie Regen- und Witterungsschutz.
Welche Philosophie steckt hinter Ihrer Firma Weltweitwandern?
Menschen und Kulturen zusammenzubringen. Mit Local Guides in kleinen Gruppen. Wir ermöglichen inspirierende Begegnungen von Menschen, Kulturen, mit der Natur und mit sich selbst! Wir stehen auch für hohes Engagement für einen verantwortungsvollen Tourismus. Wir wollen, dass Regionen, Natur und Menschen vor Ort von unserer Art des Tourismus stark profitieren. Wir kreieren Einkommen in abgelegenen Orten, verwenden nach Möglichkeit nur familiäre, örtliche Unterkünfte und investieren viel in Aus- und Weiterbildung von Partnern und Mitarbeitern. Mit unserem eigenen Verein Weltweitwandern Wirkt! initiieren wir – gemeinsam mit engagierten Reisegästen als Volunteers und Spendern Sozial- und Bildungsprojekte in Afrika und Asien in Millionenhöhe.
Welche Reisen sind am beliebtesten? Können Sie einen momentanen Trend ausmachen?
Bei uns sind das Madeira, die Azoren, Marokko und der Himalayaraum. Der stärkste Wanderkontinent als Gesamtes ist bei uns aber Europa mit Wanderungen in Spanien, Italien und Grossbritannien. Was stark im Kommen ist, ist Zentralasien mit den «STAN»-Ländern wie Usbekistan, Kirgistan, Tadschikistan. Aber auch im Balkan sehen wir viel Potenzial.
Hat sich das Wandern in den letzten zwanzig Jahren massgeblich geändert?
Ja, Wandern ist seit einigen Jahren wieder richtig in und richtig «cool» geworden und hat sein früher manchmal etwas verstaubtes Image abgelegt. Wandern wird und ist heute jung und lebendig!
Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Was verstehen Sie unter nachhaltigem und verantwortungsvollem Tourismus?
Wir wollen unsere Vision des verantwortungsvollen Tourismus weltweit ausbauen und stärken. Das tun wir, indem wir stark in unsere weltweiten Partner investieren, die vor Ort sind. Bei regelmässigen Treffen – den Weltweitwandern Academys – laden wir unsere Partner zu Fort- und Weiterbildungen ein. Einerseits bieten wir Input von Experten, andererseits setzen wir stark auf einen Austausch auf Augenhöhe. Wir besprechen u.a. Themen wie Nachhaltigkeit und Plastikvermeidung. Vom Nicht-Reisen halte ich nichts, weil dann würden all diese tollen und engagierten Menschen, mit denen wir weltweit zusammenarbeiten, ihre Arbeit verlieren. Aber man sollte mit Mass und Ziel reisen und sich vorher sowohl die Destination als auch sein Reiseunternehmen sehr gut ansehen. Neben der Stärkung der lokalen Partner investieren wir auch im Rahmen unseres Vereins Weltweitwandern Wirkt! in Bildungs- und Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen in Nepal und Marokko. Natürlich arbeiten wir auch stetig an unserer nachhaltigen Ausrichtung in unserer Firmenzentrale. Dieses Jahr haben wir uns intensiv der Nachhaltigkeit gewidmet, wieder alle Geschäftsbereiche auf Optimierung durchleuchtet und intensiv mit unseren Mitarbeitern gearbeitet – von der Umsetzung eines Schmetterlinggartens bis zum Ziel, keine Plastikflaschen mehr auf Weltweitwandern-Reisen zu sehen. Ein toller Prozess, der mir dieses Jahr viel Energie gegeben hat!