14 Länder Westafrikas bereist, 46.000 Kilometer zurückgelegt, 675 Tage raus aus dem gewohnten Leben und 17 Mal mit dem Auto liegen geblieben.

Ein halbes Jahr Auszeit wollen sich Lena Wendt und Ulli Stirnat nehmen und von Hamburg nach Südafrika fahren, den Kontinent entdecken, aber auch sich selbst wiederfinden. Nach Ullis Burnout und mit Lenas grosser Sehnsucht nach dem Schlüssel zum Glück im Gepäck geht es los. In Südafrika kommen sie nie an. Stattdessen reisen sie in ihrem alten Land Rover und mit einem 40 Jahre alten Dachzelt zwei Jahre durch Westafrika. 14 Länder und noch mehr Umwege liegen auf ihrer Reiseroute von Marokko bis Benin. Es geht um Einiges: Darum, sich selbst wieder zu finden, sich wieder zu spüren. Und nicht eher umzudrehen, bis sich an der eigenen Einstellung zum Leben etwas grundlegend geändert hat. Auf 46.000 Kilometern, mehr als einmal um die Welt, erleben sie tagtäglich Abenteuer. Einige davon sind nur schwer zu verdauen. Wüstenpleiten und Wellenreiten, kleine Gauner und grosse Wunder, echte Menschen mit Herz, manche mit Mission, sie alle kreuzen ihren Weg. Und verändern die, die ausgezogen sind, das pure Leben zu fühlen. Jeden auf seine Weise. Wir sprachen mit Lena Wendt über die wunderbaren, aber auch die Schattenseiten des Reisens, die Liebe zu Afrika und die aufwühlendsten Momente.

Frau Wendt, Ihr Plan war es ursprünglich binnen eines halben Jahres im Westen des afrikanischen Kontinents bis nach Südafrika zu fahren. Daraus wurden dann zwei Jahre, in denen Sie zwar den Süden nie erreicht, dafür aber 14 Länder in Westafrika entdeckt und bereist haben. Wieso gerade Afrika?
Seit ich klein war hat mich dieser Teil der Erde magisch angezogen. Egal welches Land, wenn ich afrikanischen Boden betrete, ist es für mich wie nach Hause kommen. Ich fühle mich geerdet, verbunden. Etwas, das mir zuhause in meinem Alltag so oft fehlt. Wir stammen alle aus Afrika. Sicher ist auch meine Mama «schuld». Sie hat als Kind immer gemeinsam mit ihrem grossen Bruder die Serie «Daktari» geschaut. Ihr Lebenstraum war es, gemeinsam mit ihm nach Kenia zu reisen und einen Schimpansen zu besitzen. Beides hat sie quasi geschafft. Ihr «Stoffschimpanse» hat in meinem Bett geschlafen und ihr Reisefieber hat sich voll und ganz auf mich übertragen.

Was begeistert Sie besonders am Entdecken neuer Länder und Kulturen?
Die Menschen. Ich liebe es einzutauchen in den Lebensalltag, gemeinsam Zeit zu verbringen, voneinander zu lernen, zusammen zu lachen, sich zu umarmen und das, was wir haben, miteinander zu teilen…

Wie viel Mut gehört zu Ihrer Art des Reisens?
Ich glaube den meisten Mut braucht es um loszulaufen… Sobald ich das geschafft habe, merke ich – war gar nicht schlimm. Und die Angst weicht diesem unglaublichen Gefühl von Freiheit und Leichtigkeit, dem Gefühl einfach zu sein.

Welche Begegnung oder welcher Moment auf Ihrer Reise hat Sie am meisten beeindruckt?
Unzählige Momente haben mich berührt und geprägt. Einer der am tiefsten gehenden Eindrücke war eine Begegnung im Senegal. Wir haben Ranger El Hadj nach Hause gefahren und wurden natürlich noch zu ihm eingeladen. Teranga – Gastfreundschaft wird im Senegal gross geschrieben. Wenn du einen Fremden siehst, lädst du ihn ein. Die, die am wenigsten haben, teilen alles. Und so wurden wir bekocht und die beste in seinem Haus existierende, noch original verpackte Matratze zu unserem Bett umfunktioniert. Wir haben viel zusammen gelacht und ich habe mit Mohammed, dem fünfjährigen Sohn der Familie, gespielt. Die Oma, die kein Französisch sprach, hat uns die ganze Zeit beobachtet und sich kringelig gelacht. Als wir am nächsten Morgen fahren wollten, hat sie mich fest in den Arm genommen und nicht mehr losgelassen. Ich dachte erst, sie macht Witze, dann habe ich gespürt wie ihre Tränen auf meine Schultern getropft sind. El Hadj hat übersetzt: «Sie hätte sich im Leben nicht vorstellen können, dass wir mal Zeit miteinander verbringen. Und jetzt ist sie unglaublich dankbar.» Das war‘s, da kamen auch mir die Tränen.

Gibt es ein Lieblingsland oder einen Lieblingsplatz, an den Sie immer wieder zurückdenken?
Alle Länder sind wunderschön und am Ende machen es für mich die Begegnungen aus. Sierra Leone hat mich unglaublich beeindruckt, weil uns die Menschen hier auf Augenhöhe begegnet sind. Beispielsweise haben wir vier Wochen in Bureh Beach mit den lokalen Surfern gelebt und ganz einfach getauscht: Wir haben die Handys der Jungs geladen und durften dafür kostenlos bei ihnen am Strand mit unserem Auto stehen; wir haben ihre Surfboards repariert, dafür haben sie uns Essen geschenkt und so weiter. Etwas, das wir in anderen Ländern oft vergeblich gesucht haben, weil wir als Weisse meist auf ein hohes Ross gesetzt wurden. Ob wir wollten oder nicht. Und das verhindert das richtige Mass an Augenhöhe. Ganz nebenbei gehören die Strände in Sierra Leone für mich zu den schönsten der Welt.

Wie sind Sie mit kulturellen Unterschieden umgegangen?
Das Schwierigste für mich war es, einen guten Umgang mit den bettelnden Kindern zu finden. Kaum haben wir irgendwo angehalten, kamen in vielen Ländern Kids angerannt und wollten was haben. Wie der eine oder andere vielleicht auch, bin ich mit einem permanent schlechten Gewissen aufgewachsen: «Iss Deinen Teller leer. In Afrika verhungern Kinder». Auch alle alten Kleider haben wir zuhause gespendet. Wie gut gemeinte «Almosen» die lokalen Märkte kaputt machen, haben Ulli und ich auf der Reise live gesehen. Ich habe mal ein halbes Jahr in Südafrika gelebt und verstanden was passiert, wenn Betteln lukrativ wird: Die Kinder machen nichts anderes mehr. Bei all dem habe ich mich gefragt, was genau mich so betroffen macht an dieser Situation? Die Antwort: Wenn mich jemand anbettelt, stellt er mich über sich und da möchte ich nicht stehen. Wenn ich in diesen Momenten etwas gebe, stelle ich mich automatisch über die Person und wer bin ich, das zu tun. Meine Lösung lautete dann irgendwann ganz einfach: Wir tauschen. Selbst der ärmste kleine Bettler kann im Zweifel auf eine Palme klettern und Kokosnüsse runterholen. Wir haben die tollsten Dinge durchs Tauschen bekommen und die schönsten Momente erlebt – und das auf Augenhöhe!

Wurde es unterwegs auch mal gefährlich? Wenn ja, was tun, wenn’s brennt?
Ich habe auf so vielen vergangenen Reise die Erfahrung gemacht: egal wie tief du in der Scheisse sitzt, es wird immer alles gut. Und darauf vertraue ich komplett. Ich habe gelernt ruhig zu bleiben, erstmal durchzuatmen und den Moment so zu nehmen, wie er ist. Am allerbesten mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen, dass das hier eine grossartige Geschichte ergibt, die sich hinterher definitiv zu erzählen lohnt.

Welchen unabdingbaren Tipp geben Sie Globetrottern, den Sie selbst gerne schon viel früher bekommen hätten?
Es geht nicht darum, wie viele Länder und schöne Orte ich bereise, sondern darum bei allem was ich tue, in jedem Moment, achtsam, präsent und dankbar zu sein.

Was ist Ihr nächstes Ziel?
Erstmal ganz viele deutsche Städte im Rahmen unserer Kino-Tour besuchen. Und im Anschluss: Ganz sicher ein afrikanisches Land!

Und was machen Sie, wenn Sie nicht in der weiten Welt unterwegs sind?
Von ihr träumen, von ihr erzählen, auch im Rahmen unseres Films und meines Buchs. Surfen, meditieren, Yoga unterrichten, mit Freunden Zeit verbringen, lachen, lieben und jeden Tag versuchen, die Person zu sein, mit der ich die meiste Zeit verbringen möchte.

 

 

 

 

REISS AUS. Zwei Menschen, zwei Jahre, ein Traum.
Lena Wendt und Ulrich Stirnat
Knesebeck Verlag